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Jürgen Kaube Spiele ohne Zuschauer

von Jürgen Kaube

Der italienischen Liga sind Spiele ohne Publikum verordnet worden. Als Strafe für unerträgliche Zustände – also entspinnt sich eine Diskussion wie bei jeder Strafe: ob sie verhältnismäßig ist, ob sie zur Besserung führt, ob nicht Unbeteiligte von ihr mitbetroffen werden. Angesichts der gemeldeten Zahl von 80000 italienischen „Ultras“ – „eine überschaubare Truppe“ (Clarence Seedorf) -, also zumeist rechtsextremer Krawallburschen, die es ganz normal finden, Fußballspiele zu Schlachten umzunutzen, ist es allerdings akademisch, über die Angemessenheit einer solchen Strafe zu diskutieren. Hauptsache, möchte man sagen, der Staat oder was davon übrig ist zeigt sich überhaupt in der Lage, irgendetwas gegenüber solchen Horden durchzusetzen.
Interessanter ist die merkwürdige Situation, die sich aus den Strafmaßnahmen ergibt: das Spiel ohne Publikum. Denn einerseits gibt es natürlich ganz viele Fußballspiele ohne Zuschauer. Auf jedem Bolzplatz finden ständig solche „einsamen“ Begegnungen statt, ohne dass schon jemand behauptet hätte, sie verliefen besonders traurig. Andererseits dürften sich die Profis schon ziemlich seltsam und unnormal in einer solchen Lage vorkommen. Denn sie sind es gewohnt, finden es geradezu selbstverständlich, von Massen beobachtet zu werden. Die ersten Stellungnahmen bekräftigen das. „Die Zuschauer sind ein integrales Element des Sports, und wenn sie nicht dabei sind, fehlt dem Spiel die Seele“, schreibt Dino Zoff in seiner Kicker-Kolumne. Aber welche Zuschauer? Der Soziologe Eric Leifer hat in seinem großartigen Buch „Making the Majors“ (Harvard University Press 1996) am Beispiel der amerikanischen Teamsportarten die steile These aufgestellt, das Fernsehen sorge dafür, dass sich der Heimvorteil abschwächt, weil die Mannschaften eben nicht nur vor anwesendem Publikum, sondern auch vor abwesendem spielen. Es wäre darum jetzt aufschlußreich zu sehen, ob und wie die Abwesenheit des Publikums im Stadion das Spiel selbst verändert. Wie sieht ein Spiel ohne Seele aus? Fliegen die Schwalben anders, wenn ihnen keine Massen mehr zuschauen? Jubelt der Torschütze noch auf dieselbe Weise? Und wie energisch kämpft ein Team noch, das zuhause zurückliegt, wenn es keine Leute mehr gibt, die ihm von draußen mitteilen, daß es zuhause spielt? Spielt man anders, wenn man allenfalls noch von Kameras beobachtet wird? Nicht nur die Forschung zum Heimvorteil würde entscheidend vorangebracht, wenn Catania Calcio tatsächlich bis zum Ende der Saison nicht mehr im eigenen Stadion und nicht mehr vor Publikum spielen dürfte.

2 Kommentare

  1. dcdmq schrieb am 16. Februar 2007:

    einspruch:

    die verunglimpfung der ultras als rechtsextremer haufen tut schon sehr weh.
    mal abgesehen von Lazio, Hellas Verona und 2-3 anderen Vereinen, gibt es bei keinem Klub dezidiert rechtsextreme Ultras.
    Sogar bei Inter, wo die Ultras zumeist eher rechts sind, gibt es einen linken Block.
    Allgemein gibt es einen ausgleich zwischen linken und rechten Ultras und wenn jemand mal in einer Italienischen Kurve war, dann wird er wissen, dass da mehr dabei ist, als nur Krawall machen..
    Also..das zu lesen schmerzt schon gewaltig, bei aller Freundschaft.

  2. Jürgen Kaube schrieb am 17. Februar 2007:

    (1) „Zumeist rechtsextrem“ heißt „nicht immer“. (2) Nur Lazio, Hellas Verona und „2-3“ andere? Bei Inter immerhin dann auch „zumeist eher rechts“. Padua und Ascoli darf man dazurechnen. Und bei AS Rom? Beim AC Mailand? Man hört, daß „links“ dort wie andernorts zur Vergangenheit gehört und in der Freude am Kampf gegen die Polizei manche Unterschiede untergehen. Ausschließlich links definieren sich nur noch die Ultras in Livorno. (3) Darf ich den römischen Korrespondenten des Zürcher Tagesanzeigers zitieren? „Früher hat man sich vor den Stadien unter Ultras die Köpfe eingeschlagen, trug Stammesfehden mittelalterlicher Prägung aus, spielte Regionen und Kulturen gegeneinander aus, verhöhnte einander mit satirischen Spitzen. Das war zu Zeiten, als die Ultras der Vereine auch ideologisch noch unterschiedlich tickten. Nun ticken fast alle gleich: neofaschistisch.“ Mir scheint, daß man die Geschichte der Ultras, in der tatsächlich am Beginn andere Motive standen, von der heutigen Situation unterscheiden muß. Und auch die Ultras in verschiedenen Ländern voneinander. Aber den Befund, es gebe einen „allgemeinen Ausgleich“ zwischen linken und rechten Ultras halte ich für ein Märchen. Abgesehen davon, dass es für die Gewaltbereitschaft gar keine Rolle spielen muß, wie die Selbstbeschreibungen lauten. Richtig ist hingegen, dass in vielen italienischen Fankurven „mehr dabei ist als nur Krawall machen“ – unter anderem aber leider auch Ticket-Erpressung und Drogenhandel, wie in Catania.

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