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Detlev Claussen Eine 6 für Diego?!

von Detlev Claussen

Frings (Juventus Turin) hebt den Ball zu Klose (Bayern München), der mit der Brust direkt zu Diego (Real Madrid) weiterleitet. Statt auf das Tor zu knallen, verzögert der kleine Zauberer, lässt die Herthaner sich schon mal in eine Richtung bewegen und verwandelt zum 0:3 für – Werder Bremen. Eigentlich wollte ich so schnell nicht mehr über meine Lieblingsmannschaft schreiben, um nicht als unverbesserlicher Fanblogger zu erscheinen. Aber nachdem ich die deutsche Sportpresse nach dem Ausscheiden Werders gegen Espanyol studiert hatte, wuchs in mir das Gefühl, etwas anderes auf dem Platz gesehen zu haben, als in der Zeitung stand.

Die Niederlage gegen den spanischen Tabellenelften wurde fast überall gleichlautend gedeutet: Unruhe in der Mannschaft, Wechselgerüchte, Eifersucht und Neidgesellschaft. Personalisiert erschien die ganze traurige Geschichte im Platzverweis nach Schwalbe von Miroslav Klose, der sich noch kurz vor dem ersten Halbfinale mit den Bayernspitzen in einem Hannoveraner Hotel getroffen hatte. Wenn Klose nicht trifft, liegt es an Psyche und Mammon. Die Mannschaft demoralisiert (hauptsächlich durch Kloses Verhalten), müsste folglich auch bei Hertha die Meisterschaft verspielen, gewinnt aber 4:1. Doch Klose trifft wieder nicht. Dreimal Rosenberg. Die alte Schnurre kann weitergesponnen werden. Der wichtigste Spielzug wird gar nicht beachtet, der alle Annahmen infrage stellt: Ich wiederhole mich: Wer Klose in Grund und Boden verdammt, sollte sich die Scorer-Liste anschauen. Frings, Klose, Diego: Die scheinbar abwanderungsbewegten Egoisten kombinieren auch in Berlin meisterlich. Mögen sie am Ende der Saison nur Dritter werden, liegen die Gründe ganz woanders, als die Presse sie pseudoaktuell vermutet: Gegen die Mitbewerber Schalke und Stuttgart gewann Werder keinen einzigen Punkt. 0:12 in vier Spielen. Werders Spiel war den Gegnern vielleicht bekannter als umgekehrt. In allen vier Begegnungen waren jedenfalls Schalke und Stuttgart besser auf Bremen eingestellt, und ihnen gelangen Überraschungseffekte. Eine solche Unflexibilität kann schon eine Meisterschaft kosten; beklagen sollte man sich nicht, sondern die genauen Gründe suchen.

Die Gründe, die mehrheitlich in der Sportpresse für die Misserfolge der letzten Woche angeführt wurden, waren es jedenfalls nicht. Kloses Platzverweis in der 18. Minute gegen Espanyol beim Stande von 1:0 stoppte etwas, was zehn Minuten lang möglich schien, ein neues Wunder an der Weser. Doch dann kam die übliche Umdeutung des Endergebnisses in Notwendigkeit – ein Erbübel dessen, was man Fußballpositivismus nennen kann, der von der Lokalpresse (Weser Kurier) bis in die gehobenen Publikumszeitschriften reicht. Übersehen wurde schlicht der Verlauf der restlichen ersten Halbzeit; in Unterzahl stellte Bremen auf eine Art kick and rush um, der für Espanyol bis zum unglückseligen Reinke-Fehlgriff keine Torchance zuließ und zu einer Unzahl von Ecken führte. Almeida, Frings und Diego schafften es, dem Team in Unterzahl ein Übergewicht auf dem Platz zu geben. Dass diese Umstellung zu vielen langen Bällen, auch Ballverlusten und weniger Kurzpassspiel führte, gehört zur Logik der Sache, wenn man nicht in Schönheit sterben will. „Bild“ benotete Frings mit 4, Almeida 3 und Diego mit 6. Dieser Bewerter hat sein Gehalt nicht als Fußballkenner verdient, sondern als Stimmungsmacher.

Die übliche Stimmungsmache klingt dann so: Millionäre in kurzen Hosen, die keine Treue kennen, haben nur Geld im Kopf, und wenn es mal schief läuft, reißen sie sich nicht „den Arsch auf“ und verlieren gegen jedes noch so schlechte Team. Alles Quatsch! Ich lasse mal die notorische Unterschätzung internationaler Gegner im Uefa-Cup weg. Wie kommt eine Niederlage wie gegen Barcelona zustande? Das 1:2 in Bremen war eine Antwort auf das 3:0 aus dem Hinspiel. In dieses Spiel ging Werder offensichtlich mit einer gewissen overconfidence, dem großen Vertrauen in die eigene Ballsicherheit, mit mindestens einem 0:0 zurückkehren zu können. Vergessen war wohl, dass seit Mertesackers Verletzung nicht mehr die enorme Kopfballüberlegenheit vorhanden war – Löcher bei Ecken und Freistößen taten sich auf (leider auch später in Bielefeld). Espanyol machte drei Tore aus Ecken; dann, typisch Werder, spielt die Mannschaft eben auch schon in Barcelona nach dem Platzverweis für Wiese nach vorne, kassiert das 0:3. Die deutsche Sportpresse jault auf: mangelnde Laufbereitschaft statt dumm gelaufen. Selbst Klaus Allofs greift in die Rhetorikkiste und redet vom „Messer zwischen den Zähnen“. Klose will im Rückspiel gleich das Messer zeigen: Gelbe Karte in der 2. Minute, total übertrieben. Der Schiedsrichter war entschlossen auf den Platz gekommen, die Heimmannschaft in die Schranken der Disziplin zu weisen. Aber er war auf Werder fixiert; weder systematische Zeitverzögerung noch sterbende Schwäne nahm er zur Kenntnis. Da kam Kloses Schwalbe, sechs Spanier forderten die Rote Karte. Auch so eine Unsitte, die der Uefa nicht gelingt zu unterbinden. Auch mein Handy meldet mir: zurecht Gelbe Karte. Nach der ersten unberechtigten, nun die zweite. Die deutsche Sportpresse verwandelt am nächsten Tag die Faktizität des Platzverweises in Notwendigkeit. Siehe oben. Ein ganz schlechtes Spiel, keine Spielkunst, kein Zauber. Nicht gesehen, was wirklich wichtig war: Die Mannschaft spielt weiter nach vorne, erkämpft sich ein Übergewicht statt Aussichtslosigkeit zu akzeptieren. Bricht nicht einmal nach den Gegentoren zusammen. Ein Sieg der Moral unter widrigsten Umständen, gerade deshalb schmeckt die Niederlage bitter.

Ohne Erfahrungen wie diese fehlte der Liebe zum Fußball, zu einer Mannschaft, zu bestimmten Spielern die Intensität. Nur ein Ahnungsloser konnte Diego eine 6 geben. Dieser Typ des Sportjournalisten sieht in Fußballern nur Angestellte, die im Misserfolg in den Hintern getreten werden müssen. Aber grauenhaft wird diese Attitüde von Fußballrohrstöcken, wenn sie noch ihr verschwiemeltes Klassenbewusstsein zur Geltung zu bringen versuchen. Der Satz „Klose, der brave Bub aus Blaubach-Diedelkopf, taugt nicht zum Zocker“ analysiert nicht, er diffamiert. Das Moralisieren über „Schwalben“ wird allmählich unerträglich; dafür gibt es eine Gelbe Karte, ok, aber mehr auch nicht. In England gibt es zwar weniger Schwalben, aber wer zweimal Chelsea gegen Liverpool gesehen hat, dem wird vor Reklamieren bei jedem Foul ganz schwindelig. Und körperliche Attacken gab es im Minutentakt. Sicher wurde Klose schlecht beraten; mit Hoeneß sollte man sich nie in Hannover treffen, wenn man aus Bremen kommt. Nein, im Ernst: Viele Berater agieren tatsächlich wie Zocker, die mit ihren Spielern herumdealen. Im Fußball-Business laufen mindestens so viele unseriöse Berater herum wie an der Börse. Aber es ist genauso schwierig, sich im großen Fußball bei Vereinswechseln richtig zu verhalten wie im Derivatenhandel. Nur die wenigsten kennen sich aus. Immerhin macht dieses Geschäft es möglich, dass Spieler aus Blaubach-Diedelkopf in Barcelona oder London gekannt und geschätzt werden. Solange der Berufsfußball gesellschaftliche Anerkennung ermöglicht, erfüllt er noch einen Traum von Glaube, Liebe, Hoffnung. Ein großer Spieler muss sein gutes Image in der Welt der Liebhaber verteidigen; das ist sein größter Wert. Ein einundzwanzigjähriger Diego tut es auch in einem aussichtslosen Spiel, Frings hat es inzwischen gelernt, und Klose wird es noch lernen. „Bild“ sieht es nicht. Eine 6 für Diego! Man kann sich nur schütteln angesichts dieser Dummheit.

10 Kommentare

  1. Linksaussen schrieb am 9. Mai 2007:

    guter kommentar.

    als ich die fantastische brustvorlage von klose zum 0:3 sah, mußte ich gleich an ronaldinho denken, der sowas ja auch gerne mal macht und dafür dann minutenlang gefeiert wird. wurde in der deutschen sportpresse viel zu wenig gewürdigt, weil es eben nicht in die theorie passte.
    aber einen klose kennen in barcelona ja nur zwei leute. hihi.

  2. newtown schrieb am 9. Mai 2007:

    Richtig, Diego eine 6 zu geben, ist nur lächerlich!
    Richtig, die Sportpresse will häufig dramatisieren!

    Aber, als Werder-Liebhaber und Anhänger des schönen Fußballs denke ich, dass sich Werder diese vermutlich titellose Saison selber zuzuschreiben hat. Und zwar deswegen, weil die Mannschaft (i) in zu vielen und (ii) einigen entscheidenden Situationen nicht bedingungslos genug gespielt hat. Zwar waren immer wieder Stammspieler verletzt (Boro, Baumi, Merte, Klasnic …), dennoch liegt der wichtigste Grund in dieser fehlenden Willenskraft.

    Natürlich lässt es sich nicht genau ergründen, warum Spiele gegen Cottbus, Aachen oder Bilefeld nicht gewonnen werden. Mein Gefühl sagt mir aber, dass Miro Klose durch sein Wechseltheater dazu beigetragen hat. Das sage ich übrigens seit Januar, und dort liegen für mich die Wurzeln der „Klose-Krise“. Denn trotz Scorerpunkte denke ich, dass Klose in 3/4 der Saison unter seinen Fähigkeiten spielt.

    Wie soll er sich auch voll konzentrieren und mit freiem Kopf spielen, wenn er dauernd über Bayern, Barca und die Premierleague nachdenkt. Das kann eventuell ein Frings ausblenden, aber ein eher sensibler, zurückgezogener Typ wie Klose kann mir nicht glaubhaft versichern, dass ihn dieser Prozess nicht belasten würde.

    So, und als Hobbypsychologe nun mein Fazit:
    – Klose ist nicht frei im Kopf, daher
    – erzielt Klose weniger Tore (und genauso wichtig)
    – ist Klose längst nicht so präsent wie früher

    Wenn nun eine Mannschaft wie Werder eh nur noch 2-3 Führungsspieler auf dem Feld hat, die ein Spiel prägen und leiten können, dann ist dieser Ausfall an Führungsstärke nicht dauerhaft zu kompensieren.

  3. Linksaussen schrieb am 9. Mai 2007:

    ich schreibe klose gerne viele fähigkeiten zu, aber führungsstärke?

  4. Timbo Rowski schrieb am 9. Mai 2007:

    Kloses Führungsstärke — „leading by example“? Muß ja nicht jeder über die rhetorischen Fähigkeiten eines Stefan Effenbergs verfügen, um eine Mannschaft antreiben zu können…

    Die Note für Diegos Leistung ist natürlich ein Witz. Andererseits — ist das nicht generell total überflüssig, diese Einzelkritik in Form von Schulnoten? Wobei ja NIE vermerkt ist, WER denn da gewürfelt benotet hat, oder?

  5. Tobias S schrieb am 9. Mai 2007:

    Wieder mal ein hervorragender Artikel! Es ist wirklich gut zu wissen, dass es auch noch Journalisten (auch wenn Sie ja eigentlich keiner sind) gibt, die sich die Mühe machen, Ursache und Wirkung in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen.

  6. Detlev Claussen schrieb am 10. Mai 2007:

    Zu Timbo Rowski:

    In der Tat: Diese anonym vorgenommene Schulnotengebung in einem Mannschaftssport schmuggelt auf üble Weise ein autoritäres Moment in die Spielbeobachtung ein. Als Zahl erscheint pseudoobjektiv, was ein Akt subjektiver Willkür ist. Sicher kann man auchEinzelleistungen quantifizieren: Im Baseball z. B. geht es dann aber auch nur um zählbare Fakten, nicht sportliche Werturteile.

  7. BluePirateS04 schrieb am 11. Mai 2007:

    Werder-Liebhaber Newton hat oben schon vieles, wie ich finde, richtig gesagt. Natürlich dramatisiert die Presse (inzwischen halt auch wieder einmal im Hinblick auf Werder) und selbstverständlich kann man über einzelne Spieler-Benotungen heftig streiten.

    Neben den tranigen VfB Stuttgart bleibt aber auch der SV Werder weiterhin der Liebling der Sportpresse, da muss sich Detlev Claussen meines Erachtens keine Sorgen machen.

    Bestes Beispiel ist die Reaktion der Presse auf die vermeintliche Parteinahme des DFB-Präsidenten Zwanziger für Schalke im Titelkampf. Zwanziger hatte lediglich geäußert er würde dem fußballverrücktem Schalker Anhang eine Meisterschaft(sfeier) gönnen. All die Sportjournalisten, die deshalb jetzt von Wendehals Zwanziger so vehement Neutralität einfordern, hatten sich nämlich noch vor wenigen Wochen, als das Titelrennen noch wie ein Zweikampf Werder vs. Schalke aussah und Zwanziger Partei für Werder und gegen Schalke ergriff, überhaupt nicht zu Wort gemeldet.

  8. Oliver Fritsch schrieb am 11. Mai 2007:

    Echt, BluePirate? Hat eine Zeitung oder ein Sender diese Lappalie (Zwanziger) kommentiert? Ich habe nirgendwo eine Meinungsäußerung darüber gelesen.

  9. Detlev Claussen schrieb am 11. Mai 2007:

    Werder als „Liebling der deutschen Sportpresse“ – das ist mir eher etwas unheimlich; denn jede Idealisierung bricht irgendwann einmal zusammen. In der Lokalperesse führt das zu einer völlig überrissenen Erwartungshaltung (Barca auswärts mit Kombinationsfußball ausspielen, in Unterzahl durch schönen Fußball Wunder vollbringen), in der nationalen Presse wird Werder als nationaler Antipode zu Bayern aufgebaut, statt der Logik eines mittleren Vereins zu folgen, der es möglicherweise schafft (mittelfristig) zu einer anerkannten europäischen Größe zu werden. Großsprecherische Ziele, wie unter die Top Ten der europäischen Vereine zu kommen (sh. HSV letztes Jahr), sind nicht nur unrealistisch, sondern kontraproduktiv.Die Personalpolitik sollte ambitionierten, aber doch realistischen Zielen folgen. Die Entscheidungen der letzten Tage passen dazu.

  10. BluePirateS04 schrieb am 11. Mai 2007:

    @Oliver Fritsch
    @
    Ja, gestern habe ich mindestens 6 zum Teil bissige Kommentare dazu gelesen (über Google News Links), die man jetzt nicht mehr oder nur schwer findet (inzwischen z.T. wohl click&buy-Archive). Und da waren nicht nur die Stuttgarter VfB-Revolverblätter (Stuttgarter Zeitung und Nachrichten, Südwest-Presse etc.) dabei, auch wenn die freilich am bissigsten und unsachlichsten waren.
    Hier noch zwei, die man über Google News im Moment auf die Schnelle noch findet:
    http://www.ksta.de/html/artikel/1176113405979.shtml
    http://www.wiesbadener-tagblatt.de/meldungen/objekt.php3?artikel_id=2821356

    @Detlev Claussen
    Stimme voll zu.

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