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Jörg Berger: Motivationskünstler. Feuerwehrmann. Retter. Wäre Jörg Berger ein Trainer mit normalem Lebenslauf, hätten ihn diese Begriffe bis an sein Lebensende verfolgt. Doch Berger öffnete jüngst ein neues Kapitel in seiner Vita. Das des Autobiographen, des Schriftstellers, zwar ohne literarische Ambition, dafür fesselt er den Leser seiner Autobiographie „Meine zwei Halbzeiten – Ein Leben in Ost und West“ mit seiner Lebensgeschichte. Einer deutsch-deutschen Geschichte, die für den heute 65-jährigen Krebskranken noch lange nicht aufgearbeitet ist.

Aufgewachsen als Einzelkind in den Trümmern Leipzigs, unter rigider Herrschaft seiner Großmutter, ging Berger mit den Jungs aus der Nachbarschaft täglich „fetten“ („Das Wort ‚Bolzen‘ kannten wir noch nicht“) und entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem talentierten, spurtstarken Stürmer. Eine Muskelverletzung stoppte jedoch vorerst seinen Traum, mit Fußball seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Doch Berger steckte nicht auf, ging an die Deutsche Hochschule für Körperkultur in Leipzig und wurde Trainer. Bei einem seiner ersten Engagements mimt er die rechte Hand von Hans Meyer bei Carl-Zeiss-Jena („Es war mir unmöglich, mich ständig unterzuordnen“), aber damit gibt er sich nicht zufrieden und arbeitet sich über Umwege zum Coach der Juniorennationalmannschaft nach oben.

An dieser Stelle beginnt der tragische Teil seiner Existenz, denn durch seinen Ehrgeiz gerät er immer mehr in den Blickpunkt des DDR-Systems, und der private Mensch wird zum Problem seiner Karriere und seines Lebens. Berger ist ein Filou, ein Frauenheld und ein Lebemann. Er verschweigt nicht, dass er durch das System Vorzüge genießt – ob dies nun Bankette mit Speisen des Westens sind, ein Auto oder das Telefon für die Eltern.

Die kaputte Ehe und die folgende Scheidung führen dazu, dass Berger immer wieder Auslandsreisen mit seinem Team verwehrt bleiben. Er bekommt zu spüren, dass sein Lebenswandel nicht der eines linientreuen DDR-Bürgers ist. Die erste Möglichkeit zur Flucht, nutzt der Trainer der U23-Junioren, bei einer Reise nach Subotica/Jugoslawien. Mit Hilfe eines gefälschten Passes der deutschen Botschaft entkommt Berger mit dem Zug in den Westen.

In der Folgezeit muss sich der Republikflüchtling mit der Ignoranz der DFB-Oberen auseinandersetzen, die seine Trainerausbildung nicht anerkennen wollen, mit Spielern, die anders als im Osten, selbstbewusst und eigenverantwortlich auftreten. Aber auch die kleinen Fallen des kapitalistischen Alltags lernt er kennen, ob Politessen oder Parkhäuser.

Die Flucht endet für Jörg Berger nie ganz. Scheinbar sicher im Westen, hat er immer noch Angst vor den Fängen der Stasi, die, wie er nach der Maueröffnung aus seinen Akten erfährt, immer in seinem Nacken saßen. Berger schildert in eindrücklicher Art seine Probleme, seine Angst, aber auch ganz alltägliches aus seinem Leben als Trainer, Ehemann und Vater, gibt Einblicke in das ostdeutsche und in das westdeutsche System, aber auch in das harte Geschäft des Fußballs.

Jörg Berger: Meine zwei Halbzeiten. Ein Leben in Ost und West. Rowohlt 2009, 19.90 €.

Das ist eine neue Rubrik: User-Rezensionen. Über Twitter fragte ich, wer Interesse hat, die Berger-Biographie zu besprechen, Jens hat sich gemeldet. Wer auch Interesse hat, bitte mit aktuellen Buchvorschlägen melden. Ich versuche dann, über den Verlag ein Rezensionsexemplar zu bekommen. Mehr als dieses kann ich aber nicht bieten. Gotteslohn und eine knallharte Redigatur ausgenommen.

1 Kommentar

  1. Gastspiel bei direkter-freistoss.de | catenaccio schrieb am 6. Mai 2009:

    […] Jörg Berger, Filou und Flüchtling No TweetBacks yet. (Be the first to Tweet this post) […]

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