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Randnotizen am letzten Bundesliga-Spieltag: Mehmet Scholl ist von seinem Klub mit Blumen und Tränen verabschiedet worden, auch er blickte mit einer humorvollen, gelassenen Rührung auf fünfzehn Jahre Bayern München zurück. Doch Zwischentöne seinerseits waren nicht zu überhören. In einem famosen Interview mit der SZ rückte er seine angebliche Nähe zu seinem Manager in ein kühleres Licht: „Viele meinen, ich hätte eine Freundschaft mit Uli Hoeneß, aber das ist es keinesfalls. Freundschaft bedeutet Gleichberechtigung, und ich bin mir nicht sicher, ob er gemerkt hat, dass ich auf die 37 zugehe. Wir haben immer schwierige Phasen miteinander gehabt, aber die Basis stimmte.“ Im Fernsehen betonte Scholl nach seinem Spiel, in dem er nochmals ein echtes Scholl-Tor schoss: „Ich bin und war nicht das Maskottchen.“ Ist das die Unzufriedenheit eines Vielgelobten, aber Vernachlässigten, der in der letzten Saison dem kreativen Mangel der Bayern-Elf zum Trotz kaum zum Einsatz kam?

Den ehemaligen Mitstreiten und Alpha-Tieren Effenberg und Matthäus, Repräsentanten des bayerischen Leitbilds, zollt er zwar Respekt, der SZ sagt er aber auch: „Ich hatte immer eine andere Meinung zur Außendarstellung des FC Bayern als meine Kapitäne. Ich habe keine Ahnung, ob mein Modell durchsetzbar wäre, aber es hieße: Lasst doch dieses FC Großkotz, das geht den Leuten doch nur noch auf die Nerven!“ Gott sei Dank gab es in München nicht mehr Scholls, sonst hätte man den Klub noch mögen müssen. Als im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion Tore für den FC Bayern gemeldet wurden, buhten wie üblich alle (als hätten die VfBler an diesem Tag nicht ihre neue Souveränität durch Ignoranz untermauern können); als der Torschütze Scholl angezeigt wurde, gab es Applaus.

Nach dem Schlusspfiff dröhnten U2, Guns ‚n’ Roses, und der unvermeidliche Freddie Mercury in einer Lautstärke aus den Boxen, dass man sich nur wundern kann, dass Jugendschützer und Gesundheitspolitiker noch nicht vor Hörschäden durch Stadionbesuche warnen; für Gesänge und Sprech-Chöre blieb wenig Raum. Ähnlich war es nach der Niederlage der deutschen Elf gegen Italien im Juli 2006, als sie in Dortmund „You’ll never walk alone“ in einer unsäglichen Version der Hermes House Band (oder einem Äquivalent) spielten, statt die Fans auf ihre Weise reagieren zu lassen. Zum Beispiel singen.

In einer feinsinnigen Analyse vertritt Holger Gertz in der SZ-Wochenendbeilage die Auffassung, dass sich Fans im Internet die Macht und die Stimme zurückerobert hätten, die ihnen im Stadion im Zuge der „Eventisierung“ des Fußballs genommen worden seien. Miroslav Kloses Image-Verlust in Bremen durch seinen Seitensprung mit den Bayern sei nicht zuletzt durch die Fan-Beiträge in Online-Foren beschleunigt worden. Gertz schreibt: „Wenn ein Spieler des eigenen Teams, Miro$lav genannt wird, ist das wie ein Urteil, das vernichtender klingt als die wechselnden Kosenamen der Boulevardblätter, die ihn Viruslav nennen, wenn er krank ist. Oder Miroslove, wenn er mit rätselhaften Handzeichen seine Familie grüßt. Oder Klößchen, wenn er schlecht spielt.“ Dass Journalisten dem Fan-Internet mehr Bedeutung zukommen ließen, begründet er mit der mangelhaften Pressearbeit der Vereine: „So ein Forum ist ergiebiger als die in Ritualen erstarrte klassische Pressekonferenz. Ein Forum ist die Pressekonferenz von unten.“

Die Bayern rechnen noch dieses Jahr mit Klose, wie Aufsichtsrat Helmut Markwort am DSF-Stammtisch verriet, es sei denn, „Werder Bremen verhält sich weiterhin trotzig“ – als redete er über ein Kind. Nebenbei, verzichten DFL und DFB nicht auf eine Strafe, weil man den beiden Parteien nicht nachweisen könne, dass es sich um mehr als unverbindliche „Informationsgespräche“ gehandelt haben soll?

Eine im Unterton despektierliche Gratulation richteten die Diskutanten im DSF, aber nicht nur dort, an den VfB durch die anmaßende Behauptung, es sei „noch nie so leicht gewesen, Meister zu werden“, was ja nur heißen kann, dass erstens die Qualität der Liga schlecht sei und es sich zweitens folglich um einen schwachen Sieger handeln müsse. Doch woran sind diese Urteile festzumachen? An der erreichten Punktzahl? Doch Zahlen wären schwache Indikatoren, zumal man eigentlich die Ausbeute des Zweiten (und Dritten) heranziehen müsste, die ein Meister zu übertrumpfen hat. Und da liegen Schalke und Bremen mit 68 und 66 Punkten über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Sicher, wenn die Bayern ein schwaches Jahr spielen (und das ist wohl damit gemeint), tut sich anderen die seltene Chance auf. Doch wenn die Bayern Erster werden, nimmt man die mangelnde Konkurrenzfähigkeit ihrer Rivalen als Beweis für die Schwäche der Liga. Ja, was denn jetzt? Kommt man unabhängig vom Saisonausgang immer zum selben Schluss?

Was lernen wir? Stuttgart ist Meister, Schalke und Bremen Zweiter und Dritter. Doch das Maß vieler Dinge bleibt der FC Bayern, der im nächsten Jahr ohnehin nur noch aus Lichtjahren Entfernung zu betrachten sein wird. Vielleicht kann Uli Hoeneß den Konkurrenten ja sein Fernglas leihen, das er dieses Jahr benötigt hat, um das Titelrennen zu beobachten.

#18 meiner Kolumne auf rund-magazin.de

5 Kommentare

  1. Tobias S schrieb am 25. Mai 2007:

    Ich glaube eher es war selten so schwer, Meister zu werden. Oder kann sich jemand daran erinnern, dass die „kleinen“ Mannschaften jemals durch die Bank so diszipliniert und taktisch clever gespielt haben? Das nur auf die vermeintliche Schwäche der Großen (bzw. Bayern) zu schieben, ist doch ein bisschen zu leicht.

    „Ähnlich war es nach der Niederlage der deutschen Elf gegen Italien im Juli 2006, als sie in Dortmund „You’ll never walk alone“ in einer unsäglichen Version der Hermes House Band (oder einem Äquivalent) spielten, statt die Fans auf ihre Weise reagieren zu lassen. Zum Beispiel singen.“

    Diesen Satz sollten sich die Verantwortlichen wirklich zu Herzen nehmen. Ich glaube damit sprichst du vielen Fans aus der Seele!

  2. Doerk schrieb am 26. Mai 2007:

    Ich glaube, es war eine gute Saison mit spielerisch starken Mannschaften wie dem VfB und Werder.

    Nur für Schalke wird es nicht noch einmal so leicht werden. Diese inhomogen zusammengestellte Mannschaft hat letztlich stark von ihrem frühen Ausscheiden im Uefa Cup profitiert im Vergleich zu Werder und Bayern. Da sie nächstes Jahr in der CL spielen, wird ihnen dieser „Vorteil“ genommen.

    Ich hoffe nur, dass Schalke und Stuttgart nicht so kläglich in der CL scheitern wie dieses Jahr der HSV.

  3. kurtspaeter schrieb am 27. Mai 2007:

    „Nur für Schalke wird es nicht noch einmal so leicht werden.“

    Was wird nicht nochmal so leicht?

    Der Kommentator Doerk spricht von Inhomogenität und Vorteil UEFA-Cup-Aus.

    Eine inhomogene Mannschaft mit 68 Punkten auf Platz 2? Außerdem, inwiefern inhomogen?

    Im Übrigen steht die spielerisch so starke Mannschaft aus Bremen nur aufgrund der Mehrbelastung CL/UEFA-Cup und nicht aufgrund spielerischer Teilarmut der Rückrunde auf Platz 3.

  4. Oliver Fritsch schrieb am 29. Mai 2007:

    Ein Fundstück zum Thema Beschallung:
    http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/sport/657332.html

  5. Markus schrieb am 31. Mai 2007:

    Die Stadion-Animateure haben einfach weitergemacht mit der WM und ihrem Firlefanz, wie’s mir scheint. Alles ein bisschen bunter und lauter. Vielleicht gibt sich das wieder, denn nur mit „lauter“ ist ja kein Geld zu machen…
    Und die Bayern? Sind und bleiben einfach die Platzhirschen im Entertainment-Park Bundesliga. Wenn ich mich recht entsinne, sagte Scholl in o.g. Interview, dass seine größte Leistung bei den Bayern gewesen sei, den Verein 15 Jahre überlebt zu haben.
    In diesem Sinne scheint die Liga überhaupt auf einem sehr guten Weg: Maulwurf-Affäre und Presseboykott auf Schalke, hysterisches Klose-Bashing in Bremen und ein (vorab) angekündigter Rauswurf der halben Mannschaft in München (inkl. Heilsversprechen für die nächste Saison). So funktioniert Massenunterhaltung (an dieser Stelle auch nochmal einen freundlichen Gruß an Ernst Middendorp: in Dir steckt ein ganz Großer!)
    Da fällt es auch nicht weiter auf, dass mal wieder die Mannschaft Meister wurde, um die und in der es am ruhigsten war. Das wird dann im Nachklapp zu „jugendlichem Charme“ verklärt.
    Aber damit es weitergeht kann man für die nächste Saison schonmal einiges feststellen:
    – Der FCB wird nicht schon wieder durch die eigene biedere Spielweise in der Chamions-League rausfliegen.
    – Die Hertha darf uns nicht schon wieder mit tor- und freudlosem Ball-Rumgeschubse in Aserbaidschan erfreuen.
    – Werder ist im zweiten Topf der CL-Auslosung angelangt und kann nurnoch auf Barca oder Chelsea treffen (Aber ach: so sie denn die Quali überstehen…)
    und:
    der 1.FC Köln erreicht erneut nicht die internationalen Plätze (obwohl ich mich hier auf dünnes Eis begebe: Es gibt da ja noch den DFB-Pokal…)

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