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Ottmar Hitzfeld wird in dieser Saison vermutlich einen oder mehrere Titel erringen; zu gewinnen hat er nicht viel. Der Anteil des Trainers an dem derzeitigen Erblühen der Bayern wird von der Fachwelt gering geschätzt, sein Name taucht in Zeitungen als Randnotiz ab, in Fernsehsendungen sind meist andere gefragt. Die Stuttgarter Zeitung degradiert Hitzfeld sogar zum „Übungsleiter“– als würde er nicht mehr tun, als Hütchen aufstellen; als gehörte zum modernen Profil eines Trainers nicht Menschenführung; als müsste dem bayerischen Millionensturm nicht eine taktisch geschulte Abwehr in den Rücken gestellt werden. Alle Hurra-Rufe gelten Luca Toni, Miroslav Klose oder Franck Ribéry. Der natürlich eine Belebung für die Bundesliga ist. Aber, nebenbei gefragt: Muss man, wie einige Kollegen von Premiere oder Steffen Simon von der ARD, wirklich jeden seiner Pässe und selbst Kullerbälle preisen wie eine Erscheinung, eine Erlösung? Liebe Bayern-Fans, ist Euch das ständige „Weltklasse!“ nicht wenigstens ein Stück weit peinlich? Falls nein, es ließe tief blicken.

Doch zurück zu Hitzfeld: Dass man aus einer Sammlung von Stars erstmal eine funktionierende Einheit machen muss und diese Aufgabe dem Trainer obliegt – diese Binsenweisheit wird derzeit vergessen. Lehrt uns der (inzwischen überwundene) Verfall der „Galaktischen“ von Real Madrid nicht, dass Geld keineswegs von selbst Tore schießt? Und dass Spieler aus der zweiten Münchner Reihe, etwa Altintop und Lell, ihren Platz im Team finden, spricht ebenfalls für Hitzfeld.

Er hat bemerkt, dass er ignoriert wird und tut nun einiges, um gesehen und gehört zu werden. Einem TV-Sender hat er gesteckt, es sei keineswegs sicher, dass er seinen Vertrag in München über 2008 hinaus verlängern wird: „Die Schweiz ist eine ernsthafte Alternative.“ Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass er einen Spieler mal wegen einer Lappalie öffentlich so deutlich kritisiert hat wie zuletzt Mark van Bommel: „Ich habe mich maßlos geärgert“, kommentierte Hitzfeld den Fehler des Holländers bei einem Gegentor.

Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer haben natürlich sofort verstanden und versichern Hitzfeld Treue und Anerkennung: „Der Boss“, schreibt Beckenbauer, „ist Hitzfeld. Er ist der ideale Mann. Jeder junge Trainer würde an dieser Mannschaft scheitern.“ Und Hoeneß schiebt nach, er hoffe und baue auf eine weitere Zusammenarbeit. Doch was uns von dieser Seite als kluge Personalpolitik verkauft werden soll, ist nichts anderes als das Glück, dass Hitzfeld viele Eigenschaften vereint: Fachwissen, pädagogisches Geschick, Intellekt, Seriosität … Stolz allerdings nicht, sonst würde er sich jetzt nicht von denjenigen umarmen lassen, die ihm vor drei Jahren ihre Rücken kehrten und Felix Magath ihm vorzogen.

Ohne guten Trainer gelingt es keinem noch so reichen Klub, dass der Rest der Liga zum Fernglas greifen muss. Kann mit einem solchen Kader jeder Meister werden? Ein klares Nein. Doch die (wahrscheinliche) Meisterschaft der Bayern würde als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Und DFB-Pokal und Uefa-Cup sind für den FC Ruhmhaft und seine Anhänger im besten Fall Zwischenstationen, im schlechtesten Trostpreise.

Günter Netzer, der nie Trainer war, behauptet dennoch: „Es ist der größte Glücksfall für einen Trainer, wenn man dir so eine Mannschaft zusammen kauft. Was gibt es denn Schöneres, als solche Spieler trainieren zu können?“ Es gibt viel Schöneres für einen Trainer: aus einem Haufen „No-Names“ ein erfolgreiches Team zu formen; aus dem VfB Stuttgart einen Meister zu machen (gut, das ist ein anderes Thema); mit deutschen Vereinen die Champions League zu gewinnen, was nur Hitzfeld gelungen ist – und das gleich mit zwei verschiedenen. In diesen schwierigen Tagen sollte man diese Leistung besonders zu würdigen wissen.

Ich hab mal als Trainer einer sehr jungen Kreisliga-Mannschaft die Saison als Außenseiter begonnen, hatte aber gleichwohl den Eindruck, dass mit ihr etwas zu holen ist (dieser Eindruck hat sich bestätigt). Als kurz vor der Saison das Gerücht kursierte, ein ehemaliger Profi mit Bundesligaerfahrung wolle den Verein verstärken, machten alle im Verein große Augen und rieben sich die Hände. Nur ich musste mich zu einem Lächeln quälen. Weil ich wusste, mit ihm in unseren Reihen konnte ich als Trainer nichts mehr gewinnen; mit ihm, zumindest würde es so heißen, hätte jeder andere Erfolg haben können; mit ihm wäre Platz 2 eine Enttäuschung geworden. Er hat es sich Gottseidank anders überlegt, und es ist nicht sicher, ob die Aufgabe mit ihm leichter geworden wäre.

Nur zur Klarstellung, liebe Leser, das ist jetzt kein Hitzfeld-Fritsch-Vergleich.

#5 meiner Kolumne auf stern.de

59 Kommentare

  1. www.direkter-freistoss.de » Ein Sieg für das freistoss-Team schrieb am 26. Februar 2008:

    […] Lieber Herr Fritsch, leider istDer beste Sport-Blogeintrag des Jahres 2007 » Bundesliga-Blog: […] einer einwöchigen Abstimmung setzteOliver Fritsch: Na ja, Andreas „der […]

  2. viererkette schrieb am 27. Februar 2008:

    Na sowas.Herzlichen Glückwunsch, lieber Herr Fritsch!

  3. www.direkter-freistoss.de » Hitzfeld zieht Rummenigge die Hosen runter schrieb am 3. März 2008:

    […] Wenn Ihnen diese Tage Karl-Heinz Rummenigge über den Weg läuft, liebe Leser, dann könnten Sie in Versuchung geraten, ihm auf seinen nackten Arsch zu schauen. Ottmar Hitzfeld hat ihm nämlich am Samstag die Hosen bis zu den Knöcheln runtergezogen. Sechs Spieler hat Hitzfeld nach dem 120-minütigen Pokalsieg gegen 1860 „rausrotiert“ – mit dem Ergebnis: Schalke keine Chance gelassen und dabei („nur“ 1:0) noch mit der Gnade eine Gentlemans. Nach dem Spiel hat er den „schlechten Stil“ des Schalke-Vorstands gerügt: „Es ist nicht richtig, wenn man vom eigenen Präsidenten in der Öffentlichkeit kritisiert wird, das ist diskriminierend, das ist unnötig, so etwas macht man nicht.“ Doch wem diese vermeintlichen Solidaritätsbotschaften an Mirko Slomka eigentlich gelten, ist klar: dem Anti-Mathematiker Karl-Heinz Rummenigge. Zu wünschen wäre, dass Hitzfeld in den wenigen verbleibenden Monaten den Mut behält, Partei für sich (und gegen seinen Vorgesetzten) zu ergreifen, und sei es zwischen den Zeilen. Dann könnte es noch eine sehr unterhaltsame Angelegenheit werden. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das eines Tages mal schreiben würde: Hoffentlich wird diese Sais… […]

  4. franzferdl schrieb am 4. März 2008:

    ach ja, wenn ich schon am rummalen bin: an dieser stelle gebe ich dir 100% recht. richtig interpretiert! hitzfelds aussagen richten sich gar nicht mal so implizit auf jeden fall gegen fummeligge. …und das ist auch gut so!!! darüber hab ich mich schon am samstag gefreut!

    dennoch bleibt für mich immer noch ein hauptproblem: ich verstehe nicht, warum hitzfeld erst jetzt wieder seine souveränität wiedergewinnt, die er zumindest zu beginn der saison schon zeigte.
    Рauf einmal redet er schlechte spiele nicht mehr sch̦n. er benennt auch ̦ffentlich sehr offensichtliche fehler. liegt das nur damit zusammen, dass er immer noch in jedem wettbewerb vertreten ist?
    Рauf einmal zeigt er mut zur taktischen variation (demicheles als 6er, schweinsteiger zentral etwas vorgezogen, beide spielten gr̦sstenteils hervorragend).
    – auf einmal schöpft er zumindest ansatzweise die qualitative und quantitative breite seines kaders aus & stellt die leute zumeist auf positionen, die ihrem potential entsprechen (obwohl ich immer noch nicht verstehe, wieso z.b. schlau-draff [war es so schlau, nach münchen zu gehen?] nicht regelmässiger eingesetzt wird… vom spielertyp ansatzweise (!!!) ähnlich wie ribery: sucht tempodribblings, d.h. 2kämpfe, kaum quer- oder rückpässe, spielt risikoreich – könnte bei verletzung oder sperre eine hervorragende alternative für ribery sein oder gar das pendant auf der linken seite, um für etwas mehr entlastung und variation zu sorgen…)

    aber: WARUM ERST JETZT? wer, wenn nicht er, hätte von beginn an souverän reagieren und regieren können? dadurch wäre, m.e., auch der ein-malige geistige ausfall rummenigges viel besser zu verkraften gewesen & hätte nicht solch eine lange mediale halbwertszeit gehabt…

  5. muscle man cartoon schrieb am 3. Oktober 2008:

    muscle man cartoon…

    Special enzyme engineering makes these lipids even more functional and enhanced mineral retention. In short bovine colostrum plays an…

  6. Trainer Baade » Essay eines Spieltagsquickies: schrieb am 10. Oktober 2010:

    […] – Ob Berti Vogts wenigstens dort, wo man ihn nicht versteht, Erfolg haben kann (der sog. Rehhagel-Effekt) – Ob man nach freds Äußerung zum letzten Spieltag eigentlich nur noch jedes Mal über Duisburg lachen kann – Was Thomas Doll im Amt hält (Punkte), obwohl er doch so offensichtlich eine einzige Phrasendreschmaschine, Ausführung Kumpeltyp, ist – Wie wertvoll ein „Aggressive Leader“ für eine Mannschaft sein kann, besonders in der Schlussphase einer Partie in der Allianz-Arena – Ob Totgesagte wie Benjamin Auer länger leben – Was Michael Henke nach seiner Zeit bei Bayern machen wird (egal) – Ob Manuel Neuer wirklich der neue Bodo Illgner ist (nein, bald eher der neue Walter Junghans) – Wer den besten Sport-Blog-Beitrag 2007 geschrieben hat (Oliver Fritsch) […]

  7. Trainer Baade » Wählen gehen: schrieb am 17. Januar 2011:

    […] des Jahres sein wird. Damals gewann „direkter freistoss“ mit dem Kommentar „Ein Trainer, der nichts zu gewinnen hat“ vor einem gewissen dogfood mit seiner Detektiv-Arbeit „Die ARD-Tonstörung namens […]

  8. Sportblogger-Award des Jahres 2012: Abstimmung* | Fokus Fussball schrieb am 16. Januar 2013:

    […] beendet ist. So zum ersten Mal für das Jahr 2007, als der direkte-freistoss mit dem Text “Ein Trainer, der nichts zu gewinnen hat” siegte, wie auch die Frankfurter Rundschau […]

  9. Trainer Baade » Alle Sieger der Wahl zum „Sportbloggerbeitrag des Jahres“ schrieb am 24. Januar 2013:

    […] direkter freistoss „Ein Trainer, der nichts zu gewinnen hat“ 2010 Racingblog „Formel 1 – Die Sache mit dem Ãœberholen“ 2011 Blog-G „1000 […]

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