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Von Alexis Mirbach Gratulation! Fünf Tage vor dem Ende der WM 2010 hat auch der deutsche Boulevard sein erstes Tor geschossen. Die Bild-Zeitung hat in ihrer Dienstagsausgabe den „Machtkampf Lahm gegen Ballack“ ausgerufen. Leider ist die Frage momentan so spannend wie ein Sack Reis, der in der ukrainischen Steppe umfällt. Dort und in Polen wird die EM 2012 ausgtragen. Zur Erinnerung: Am Mittwoch spielt die aktuell beste Fußball-Elf der Welt, Deutschland, gegen die stärkste Mannschaft der vergangenen zwei Jahre, Spanien, in einem WM-Halbfinale. Die Herren vom Boulevard haben daran offenbar kein großes Interesse.

Die zukünftige Rolle von Michael Ballack wäre ein wunderbares Thema für ein Sommerloch nach der WM. Aber wer möchte sich derzeit ernsthaft damit beschäftigen, was wäre, wenn Ballack wieder zurückkäme? Sechs Tage vor dem möglichen Gewinn der Weltmeisterschaft? Niemand! Es handelt sich schlichtweg, um die klassische Phantomdiskussion. Die Frage ist schlichtweg nicht relevant. Eine (Fußball-)Problmatik ist hingegen, dass die Schlagzeilen um Ballack die Stimmung in der deutschen Mannschaft negativ beeinflussen könnte. Besteht daran ein öffentliches Interesse?

Man kann sich natürlich auch für den bislang vorbildlichen Kapitän Philipp Lahm an den Kopf langen. „Freiwillig gebe ich die Binde nicht zurück!“, hat der Münchner den Reportern verraten. Eine ehrliche Aussage, die zeigt, wieviel Spaß Lahm an seiner Aufgabe hat. Geschadet hat er Deutschland mit seiner Spielfreude als Kapitän keineswegs. Sein Verhalten war auch nur von demher ungeschickt, weil der Medien-Profi hätte wissen können, was die Reporter aus diesem normalen Satz machen: überflüssige Überschriften.

Es gibt auch keinen Grund, Michael Ballack an den Pranger zu stellen. Die Weltregie des Fernsehens hat ihn während des Argentinien-Spiels mit betrübter Miene gezeigt. Abgesehen davon, dass es nur wenige Menschen schaffen, neunzig Minuten lang zu grinsen, wäre ein kurzes Stimmngstief Ballacks nicht verwerflich. Der Ex-Kapitän ist bekanntermaßen durch ein grobes Foulspiel um seinen WM- Traum gebracht worden. Und selbst Fußball zu spielen, ist erwiesenermaßen vergnüglicher als Zuschauen. Spiegel Online titelte am Folgetag „Capitano Ade“. Unangebrachte Häme.

Der freiwillige Besuch Ballacks bei der Mannschaft reiht sich in fragwürdige Thematisierungen im Vorfeld der WM ein. Die geplatzte Vertragsverlängerung des Bundestrainers regte die „Bild“-Zeitung mehr auf als den Betroffenen Joachim Löw selbst. Das Massenblatt hatte die „vollkommen überzogenen Gehaltsforderungen“ des Gespanns Bierhoff/Löw exklusiv ausgeplaudert. Der Verdacht, dass die geheimen Informationen direkt aus dem Pressebereich des DFB durch einen Ex-Springer-Mann kamen, lag auf der Hand. Zudem gibt es wohl keinen Arbeitnehmer der nach guten Leistungen nicht wie Löw mit mehr Gehalt spekuliert.

Auch über die plötzliche Liebe zu Kevin Kuranyi konnte man sich wundern. Dass Lukas Podolski als Linksfüßer systemrelevant für Löws 4-2-3-1 ist, wollten nur wenige verstehen. Dass Mario Gomez und Miroslav Klose als gesetzte Nummer 1 über eine komplette Saison hinweg ebenso wie der Schalke-Stürmer mindestens fünfzehn Bundesliga-Tore schießen, fiel niemandem ein. Eines hat Joachim Löw schon vor dem Halbfinale bewiesen: Er hat mit seinem Entscheidungen schlicht recht gehabt.

Kritik gehört zum Geschäft des Journalismus. Und jeder mach Fehler. Aber statt nun einen Streit der deutschen Kapitäne herbeizuflehen, wäre Löws Triumph über die vielen Kritiker weitaus interessanter. Denn die DFB-Elf hat schon jetzt ein tolles Turnier gespielt. Das mögliche Duell zwischen Lahm und Ballack ist die erste größere Missstimmung im deutschen Team – in fast sieben Wochen. Der Boulevard hat damit seinen ersten Treffer gelandet. Doch dieser Schuss ist vor dem Halbfinale gegen Spanien ein ärgerliches Eigentor.

Alexis Mirbach ist freier Journalist und schreibt für Focus Online.

8 Kommentare

  1. Ludwig schrieb am 7. Juli 2010:

    Es ist wie bei einem Bienenvolk. Wenn die Arbeiterbienen eine junge Königin heranzüchten, fliegt die alte flugs davon. Obwohl ihr/ihm keine verbliebenen Getreuen gefolgt sind, bestand in diesem Fall die Gefahr, dass der clevere Altkapitän im fernen Schland noch schnell ein paar Werbeverträge abschließt – basierend auf dem Ruhm der jungen Helden.
    Das musste Lahm als Sachwalter der neuen Werbegesichter schnellstens verhindern, und deshalb riskierte er auch eine gewisse Unruhe vor dem Halbfinale. Wenn das kein idealer Kapitän ist für die meisten der 23 angehenden DeoStift- und Versicherungsmodels !

  2. lars schrieb am 8. Juli 2010:

    naja, etwas direkter darf man das schon formulieren (oder hat da jemand angst vor dem nestbeschmutzer-stempel?): auch die beim freistoss gerne zitierten „qualitätsjournalisten“ sind fröhlich auf dem springer-zug aufgesprungen und haben tüchtig dabei mitgeholfen Lahms an sich unverwerfliche äußerung erst richtig zum thema zu machen. schwer zu sagen für wieviel ablenkung das beim team selbst gesorgt hat aber das umfeld sah sich ja offensichtlich schon dazu genötigt sich mit der sache zu beschäftigen. so muss man also davon ausgehen dürfen, dass diese geschichte auf kosten der konzentration auf das halbfinale ging und die schreibende zunft ihren anteil an der niederlage hat, einen verdacht der von der tatsache bestärkt wird, dass sie ja nun schon wieder an mehreren stellen zurückrudert.

  3. Oliver Fritsch schrieb am 8. Juli 2010:

    Es sollen also die Medien gewesen sein. Völlig ausgeschlossen, dass Philipp Lahm diese Ansage ganz bewusst getätigt hat, vielleicht sogar mit Rückendeckung des Trainers?

  4. Jan schrieb am 8. Juli 2010:

    Genau so ist es, Herr Fritsch.
    Lahms starke WM als Kapitän kann Löw doch nur Recht sein, so kann er unter Verweis darauf Ballack als ‚Capitano‘ ablösen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob dieser überhaupt noch mal in die Mannschaft zurückkehrt. Falls nein, kann das dem Team nur gut tun. Zwar hat Ballack unbestrittene Qualitäten, aber seine autoritäre Art, die Mannschaft zu führen, passt in meinen Augen nicht unbedingt zu dem jungen Team mit seinen flachen Hierarchien.
    Also insofern kann ich mir vorstellen, dass Löw Lahm sogar ermuntert hat, sich genau zu diesem Zeitpunkt genau so zu äußern.

  5. Peter Glock schrieb am 9. Juli 2010:

    Ballack ist gut, keine Frage.
    Aber mit seinem „IchbinderChef-Anspruch“ kommt er nicht mehr durch.

    Wenn er also damit einverstanden ist, sich einzuordnen unter Gleiche, dann wird er wohl mit dabei sein dürfen.

    An der Geschichte mit Frings mache ich aber eher fest, dass er das nicht kann.

  6. kumpel schrieb am 9. Juli 2010:

    Na, ich denke auch, dass Philipp Lahm’s Äußerungen zur Kapitänsrolle nicht einer spontanen Laune oder gar Unachtsamkeit entsprungen sind. Dafür spricht die simultane Abreise von Michael Ballack. Rückendeckung durch Jogi Löw? Kaum vorstellbar, Aber die Ermunterung durch den einen oder anderen Verantwortlichen des DFB liegt genauso nahe wie unser Wissen um die ungeschickte PR-Arbeit desselben. Saublöd für alle, diese weittragenden Worte vor solch einem wichtigen Spiel in genüßlicher Breite medial wirksam zu machen!
    Haben die exzellenten DFB-Auswahlkicker letzten Endes im Halbfinale deswegen so orientierenslos verloren, fragt sich der Kumpel von Nebenan…

  7. Oliver Fritsch schrieb am 9. Juli 2010:

    Warum sollten Zeitungen über solche Konflikte nicht berichten? Verstehe ich nicht. Nur weil ein WM-Halbfinale bevorsteht? Ist es die Aufgabe von Medien, darauf Rücksicht zu nehmen?

  8. Zurduff schrieb am 17. August 2010:

    Schade, dass ich diesen Artikel erst heute entdeckt habe! Er ist sehr gut! Leider fehlt der wichtigste Aspekt überhaupt: „Für wen macht Philip Lahm eigentlich TV-Werbung“ Das war bei denen doch ein Geben und Nehmen: Lahm macht Werbung für BILD und bekommt bestimmt auch ein paar Mark dafür. Lahm generiert der BILD eine (super?) Schlagzeile mitten während der WM. Bild unterstützt mit Kampagnenjournalismus Lahm dabei, Kapitän der Nationalmannschaft zu werden/bleiben. Ist doch alles ein abgekatertes Spiel und damit hat Lahm der Nationalmannschaft geschadet.

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