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Die Sport Studies beleuchten das Verhältnis von Gesellschaft und Sport. Mit ihrem gesellschaftlichen Ansatz grenzen sie sich klar von der dominanten Linie der Sportwissenschaft ab. Diese blickt auf den Sport aus einem biologisch-medizinischen Blickwinkel. Bei den Sport Studies steht hingegen der Einfluss von gesellschaftlichen Machtstrukturen auf den Sport im Vordergrund. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie im Sport körperliche Macht (Gewalt) benutzt wird und inwiefern Formen symbolischer Macht im Sport (z.B. die Darstellung „Sieger vs. Verlierer“) Rückwirkungen auf die Gesellschaft hat.

Im nun erschienenen Sammelband „Sport Studies“ geben die Autoren eine Einführung in die kritische Analyse des Sports. Anhand von dreizehn Themen werden verschiedene Schlaglichter auf den Sport geworfen. So zeichnet Wolfram Manzenreiter die Linien der „Hyperkommerzialisierung“ des Sports als Teil eines Prozesses, der bewirkte, dass heute hauptsächlich der Markt zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft vermittelt. In Bezug auf die Dopingbekämpfung macht Robert Gugutzer deutlich, was die Festlegung von Grenzwerten bei körpereigenen Stoffen bedeutet: „Eine nicht-intendierte Nebenfolge von Grenzwerten ist bekanntlich die Möglichkeit, sich gezielt an den Grenzwert heranzudopen.“ Hämatokrit und Testosteron lassen grüßen.

Neben diesen vorwiegend auf den Profi-Sport bezogenen Aspekte, ergründet das Buch auch die gesellschaftliche Rolle des Breitensports. Wie Schönheitsideale durch den Sport geschaffen und durchgesetzt werden, beschreibt Thomas Alkemeyer im Kapitel „Aufrecht und biegsam. Eine politische Geschichte des Körperkults“ sehr eindrücklich. Hier wird zudem deutlich, wie Körperideale gesellschaftliche Machtverhältnisse widerspiegeln. Robert Schmidt etwa verdeutlicht, wie Sportpraktiken kulturelle und soziale Unterschiede verstärken. Integrativ wirkt der Sport laut Schmidt nur in wenigen Fällen.

Die Autoren stellen große Zusammenhänge aus kritischer Perspektive dar. Ihre Argumente sind meist plausibel und leicht zu verstehen. Die Beiträge sind zum großen Teil interessant aufbereitet und mit Beispielen angereichert. Das Buch sollte eine Pflichtlektüre für Sport- oder Sozialwissenschafts-Studenten sein. Ein Massenpublikum ist mit ihm wegen seiner Theorielastigkeit dennoch nicht zu erreichen. Man würde sich aber wünschen, dass auch Sportjournalisten einen Blick in diese alternative Betrachtung der Bewegungskulturen werfen würden.

Marschik, Müllner, Penz, Spitaler (Hg.): Sport Studies. Eine Einführung. Facultas, Wien 2009.

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Moritz Heiser ist Gastrezensent des direkten freistosses. Wer auch Interesse hat, eine Rezension für den direkten freistoss eine Rezension zu schreiben, bitte melden. Mehr als Gotteslohn und vielleicht ein Gratisexemplar kann ich aber nicht bieten.

„Der kranke Sport“ lautet heute die Überschrift eines Kommentar in der Süddeutschen Zeitung, in dem sich Thomas Kistner mit der Frage beschäftigt, was der Tod Robert Enkes über den Sportbetrieb im allgemeinen aussagt. Die Krankheits-Metapher halte ich im Zusammenhang mit Sport ohnehin für sehr fragwürdig, bedenklich finde ich an diesem Text aber vor allem eine Passage, in der es um Symptome geht, die Kistner zu erkennen glaubt:

Speziell im Fußball lassen sich zunehmend Verhaltensweisen beobachten, die daneben sind. Sichtbar wird in der Regel nur eine Variante von Psychoproblemen, die manisch-aggressive …

Als Beispiel für solche „Psychoprobleme“ erwähnt der Kollege das „Kopfabschneider-Zeichen“ eines „Zweitligatorschützen“. Gemeint ist die Torjubelaktion des St. Paulianers Deniz Naki beim Spiel in Rostock. Wenn ein 20-jähriger Kicker, dessen Eltern Türken sind, auf rassistische Beschimpfungen und eine allgemein hasserfüllte Atmosphäre im Stadion mit einer emotionalen, spontanen Geste reagiert, hat er keineswegs ein „Psychoproblem“. Dass es – noch – Spieler gibt, die in solchen Situationen auf menschlich verständliche Weise reagieren, ist erfreulich (ich hätte mir auch eine subtilere Geste gewünscht, aber das ist nebensächlich). Dass der Fußballbetrieb – aufgehetzt von den Jagd- und Schäferhunden des Sportjournalismus – so etwas mit absurden Sanktionen bestraft, ist das Problem. Im übrigen sind es ja genau diese Jagd- und Schäferhunde, die den „Konformitätsdruck“ (Rob Alef) miterzeugen, der Robert Enke dazu veranlasst hat, seine Krankheit geheim zu halten. Letztlich läuft es wohl darauf hinaus, dass ich mir einen anderen Sport wünsche als Thomas Kistner.

Bundesliga, Sonntagsspiele, 15.30 h? War da mal was? Wie man sieht und hört scheint den „Amateurrebellen“ (Bild, WAZ u.a.) von damals die Luft ausgegangen zu sein. Das wäre an sich ja auch kein Wunder, es sind Ehrenamtliche wie Reiner Grundmann vom SC Schaffrath (in Gelsenkirchen) oder Michael Schröer vom SSV Mühlhausen (Unna), die Anfang des Jahres den Protest formulierten. Dass sie weder Mittel und Zeit noch geeignete Instrumente hatten bzw. haben, mit denen sie ihre Rebellion wirksam ins Unendliche verlängern könnten, war klar – sie sind halt Amateure ohne gut geschmierten Apparat wie ihre Profikollegen von der DFL.

Natürlich hat der neue Spielplan Auswirkungen für die Amateure gehabt, so dass die Angelegenheit auch bei den Profis – so sieht’s jedenfalls aus – noch nicht vergessen ist. Reinhard Rauball, Präsident bei Dortmund und der Liga, hat z.B. eine Spielverlegung des Derbys zwischen dem BVB und Schalke von Sonntag auf Samstag erwirkt, um so einen massiven Zuschauerschwund bei den Sonntagsspielen der Amateure im Revier zu verhindern; zusätzlich sagte er ihnen ein Freundschaftsspiel der Borussia zu. Die Einnahmen daraus sind für den Fußballkreis Dortmund. Ähnliches macht der Bundesliganachbar in Bochum, der VfL. Zumindest die Vereine im Kernland des Fußballs scheinen so etwas wie ein Gewissen entdeckt zu haben.

Gut und schön, doch was soll, was kann man davon wirklich halten, um was handelt es sich? Um öffentlichkeitswirksame Marketingmaßnahmen gewiefter PR-Strategen? Um Ablasszahlungen im modernen Sinne (so weit ist Fußball ja häufig nicht von Religion entfernt)? Oder sind das mehr oder weniger hilflose Versuche, der Basis (also auch den zahlenden Fans) zu zeigen, dass man die Problematik weiter auf dem Schirm hat und ein sehr, sehr schlechtes Gewissen mit sich herumschleppt? Wir werden sehen und es erst wirklich bewerten können, wenn das nicht nur ein einmaliger Gimmick bleibt. Nachhaltig wäre es unter anderem auch dann, wenn es die Liga ergriffe und selbst Großkopferte wie Bayern München mitmachten (auch wenn die momentan ganz, ganz andere Probleme habe…).

René Martens 100 Jahre Hakoah Wien

von René Martens

Der 1. Mai 1926 war ein großer Tag für den US-amerikanischen Fußball: Hakoah Wien, im Jahr zuvor erstmals österreichischer Meister, verlor mit 0:3 gegen eine Kombination aus Spielern der US-Klubs New York Giants und Indiana Flooring. 46 000 ZuschauerInnen füllten die Ränge des New Yorker Polo Ground – so viel wie nie zuvor bei einem Fußballspiel in den USA. Der österreichische Fußball galt damals als einer der besten der Welt, und der jüdische Klub aus der Hauptstadt dürfte einen ähnlichen Ruf gehabt haben wie heute ein dominierendes Team aus der Champions League. Der Zuschauerrekord ist allemal bemerkenswert, denn es sollte 51 Jahre dauern, ehe in den USA mehr ZuschauerInnen einem Fußballspiel beiwohnten …

In der WoZ stelle ich dieses Buch vor, das anlässlich des hundertjährigen Jubliäums des bedeutenden jüdischen Sportklubs Hakoah Wien erschienen ist. Mehr hier.