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Detlev Claussen Mensch, Werder …

von Detlev Claussen

Wenn ein alter Fan an seinem Fußballverstand zweifelt, muß man an eine ernste Krise glauben. In den letzten Monaten des Jahres 2006 hatte man es als Werder-Fan leicht. Ãœberall wurde man mit Komplimenten überschüttet. Geärgert habe ich mich nur über viele Kommentare nach dem Ausscheiden aus der Champions League. Als ob andere Clubs (deutsche?) mit Leichtigkeit Chelsea oder Barca ausgeschaltet hätten! Hätte man mich am Ende der Winterpause gefragt, wie die Werdermannschaft einzuschätzen sei, hätte ich geantwortet, noch nie, seit ich Werderfan bin (also seit Beginn der sechziger Jahre), hat es eine so spielstarke Mannschaft in Grün-Weiß gegeben. Darunter waren Meistermannschaften, ein Europapokalsieger der Pokalsieger – gloriose Wunder von der Weser; aber ernsthaft, kein Vergleich mit der heutigen Mannschaft, die auch noch derjenigen mit Micoud spielerisch überlegen schien. Und nun die Rückschläge … macht auch im Fußball Liebe blind?

Aber Halt, Stopp! Ein Fan, der nur eine schön spielende Mannschaft liebt, die dann auch noch gewinnt, ist gar kein Fan. Die erste Deutsche Meisterschaft, die Werder 1965 unter Willy Multhaup gewann, war vielleicht das Urwunder von der Weser gewesen. Aus einer kleinen Gruppe von eher biederen Fußballern (im harten Kern zwölf Spielern) formierte Multhaup ein modern 4-2-4 spielendes Team, das sensationell alle anderen deutschen Topvereine hinter sich ließ. Der Außenseiter, der seine Chance nutzt – das hat mich zum Fan gemacht. Aber einmal diese Geschichte erlebt, die man identifizierend mitgeht, bleibt man auch in schlechten Zeiten dabei, und man überlegt sich, wie ein solches Wunder wieder möglich ist. Das Weserstadion hatte noch viele Enttäuschungen bereit, unter anderem einen Abstieg von Werder aus der Bundesliga. Doch dann kam Otto Rehhagel, der noch bei Multhaup Anschauungsunterricht genossen hatte, und hat diese Geschichte vom Außenseiter mehrfach wiederholt. Auch wenn man längst nicht mehr die Chance hat, alle Spiele im Stadion zu verfolgen, Fan bleibt man auch in der Ferne, vielleicht noch mehr, als wenn der Weg zum Weserstadion nur ein Fußweg ist. Die Zeiten nach Rehhagels Weggang waren schlimm; vor allem Trainermißgriffe. Freude hatte man nur an Heimsiegen über die Bayern, schon fast kleinkariert. Doch dann kam die Belohnung langen Wartens: Schaaf und Allofs formierten aus Werder eine europäische Spitzenmannschaft in den Zeiten des globalisierten CL-Fußballs. Unglaublich, aber wahr …

Plötzlich vermischte sich beides: die Liebe des Fans und eine Idee, Fußball zu spielen. Werders Fußball sollte in den Augen des Fans beweisen, daß Angriffsfußball erfolgreich möglich ist, auch wenn man nicht über Ressourcen wie Barcelona verfügt. Vielleicht könnte man sich an Lyon orientieren, gegen die es auch schon mal im Jahr 2000 ein (fast vergessenes) Wunder an der Weser gegeben hatte. Aber da fragt sich der Soziologe in mir, Lyon und Bremen im Vergleich? Nicht übermütig werden! Tatsächlich waren die CL-Begegnungen 2004 gegen Lyon ernüchternd; man hatte genau gesehen, woran es Werder sportlich mangelte: an einem international konkurrenzfähigen Abwehrverhalten, ohne dem Offensivfußball abzuschwören. Was nach den verheerenden Niederlagen damals (0:3 und 2:7) galt, gilt heute erst recht: Es wäre dumm, wankelmütig zu werden; nur weil ein paar Spiele einen üblen Ausgang genommen haben. Der Fan muß leiden in solchen Phasen; aber sie bleiben auch den Anhängern von Lyon und Barcelona nicht erspart. Fängt man wieder an, seinen Kopf zu benutzen, dann werden einem die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Fußballbetrieb und Offensivfußball deutlich.

Der Alltag des Fußballs, ohne den der Spitzenfußball niemals das inzwischen erreichte Niveau erlangt hätte, überfordert letztlich die Leistungsfähigkeit der Spieler. Die Clubs mit ganz viel Geld versuchen, das Dilemma mit großen Kadern auf höchstem Niveau zu lösen. Trotzdem haben auch sie ihre Schwächeperioden; und die Tatsache, daß noch nie ein CL-Titel verteidigt wurde, kann als Beweis für die mangelnde Reproduzierbarkeit des Erfolgs dienen. Strukturell hat der Ligafußball, also die Regelmäßigkeit des Spielbetriebs, die Defensive begünstigt; es bleibt leichter, ein Spiel zu zerstören als eines aufzubauen. Deswegen hat der Fan auch Kategorien wie „gerecht“ und „ungerecht“ zur Verfügung, um sich über eine Niederlage zu trösten. Der Fußballverstand sagt einem aber, daß jede Niederlage ihre Gründe hat – auch die „ungerechte“. Und eine Niederlagenserie erst recht.

Der einfachste, aber deshalb nicht falsche Gedanke: Keine Mannschaft kann über eine ganze Saison gleichmäßig auf höchstem Niveau spielen. Physische und mentale Erschöpfung gehören zur harten Arbeit des Fußball-Showbusiness. Gerade die großen Extraspiele bei der WM, gleich danach bei der EM Qualifikation und bei der Champions League erfordern bei einer offensiv ausgerichteten Außenseitermannschaft wie Werder Extraanstrengungen, für die auch irgendwann bezahlt werden muß. Ohne dieses Extra aber ist Werder auch „nur“ eine durchschnittliche Spitzenmannschaft, die an gut organisierten Defensiven mehr als einmal scheitern kann. Keineswegs ist ausgemacht, daß die spielstärkste Mannschaft auch Deutscher Meister werden muß. Dazu gehört mehr – ohne auf die fatale Weisheit verweisen zu wollen, Meisterschaften würden in der Defensive gewonnen. Das zumindest haben Fan und Fußballverstand in der Champions League gelernt. Die Defensive beginnt auch und gerade für offensive Mannschaften im Sturm. Der Fußballverstand sollte den Fan in mir zur Ordnung rufen: Ungeduld ist der schlechteste Ratgeber. Aber Fußballverstand haben auch andere; werden sie auch auf Schalke und in Stuttgart die Geduld haben?

3 Kommentare

  1. Sinja schrieb am 4. März 2007:

    Die meisten Menschen in dieser Stadt (Bremen) denken, dass Werder tollen Fußball spielen kann, aber zumindest keine europäische Spitzen-Elf ist. Dass das zur Zeit keine deutsche Mannschaft ist, spielt dabei keine Rolle.
    Die meisten würden es gerne sehen, wenn Werder Deutscher Meister werden würde, aber so lange sie überhaupt vor den Bayern landen (und sei es am Ende auf einem zwölften Platz …), ist das gewiss schon mal mehr als die halbe Miete.
    Für große Sorge besteht gar kein Anlass. Werder hat zu Beginn der Rückserie einige schlechtere Spiele abgeliefert … na und? Die Teams, gegen die man antrat, waren übrigens bei weitem besser als man zu akzeptieren bereit war. Auch Hannover spielt einen guten Fußball. Und in Amsterdam wurde verloren, ohgottogott … ist Amsterdam jetzt schon in der Kategorie von Bochum und Cottbus??
    Eine Ursache von Werders Schwächephase ist, neben der völlig normalen Formschwankung, die zunehmend dünnere und offenbar auch nicht leicht verstärkbare Spielerdecke. Zu Saisonbeginn hieß es, dass man jeden (!) Spieler zu 100% durch einen anderen, gleichwertigen ersetzen könne. Inzwischen ist Klasnic so gut wie weg, Klose hat (völlig menschlich) eben mal eine ungünstige Phase (die er sich in Manchester, Mailand oder Barcelona kaum erlauben könnte … vielleicht wird ihm die ganz ruhige, ungebrochene Unterstützung in Bremen von Abwanderungsplänen abhalten?), Hunt kann’s alleine kaum richten und unser blumiger Neuzugang brauch eben einfach noch ein paar Monate, während Almeida mal gut und mal weniger gut ist … so was soll’s geben.
    Diego soll eine Über-Rolle spielen, nämlich zugleich als Spielgestalter, als Torschütze und Raumdecker auftreten, obwohl man froh wäre, wenn er überhaupt mal Deutsch könnte, um zu kapieren, was man von ihm will.
    Immerhin: Ge-Fahrenhorst ist weg, Mertesacker ist fit und mit Naldo zusammen stellen die beiden die beste Innen-Abwehr in Europa.
    Wenn Owomoyela irgendwann wieder fit sein wird, ist ein weiterer Außen-Verteidiger resp.Außen-Stürmer mit dabei … wer Werder in Panik-Stimmung schreiben will, sollte sich vergegenwärtigen, dass die halbe Mannschaft entweder krank ist oder eben (vielleicht etwas unvorsichtig?) verkauft wurde; immerhin besteht halb Schalke aus Werder-Spielern und auch Mainz könnte ohne die Verstärkungen aus Bremen wohl schon die 2. Liga buchen.
    Sollte Werder tatsächlich nur Vierter oder meinetwegen Siebter werden … na und?

  2. Andreas Meyer schrieb am 4. März 2007:

    Werder hat derzeit mit mehreren interessanten Phänomenen zu kämpfen, wie ich zuletzt live in Mönchengladbach miterleben durfte. Und mit Werder meine ich nicht nur die Mannschaft und den Verein, sondern auch die Fans.

    Die Mannschaft kämpft mit dem eigenen Anspruch und den Anspruch, der von aussen an sie herangetragen wird. Sie haben und können tollen Fussball spielen, wollen dies auch, schaffen es aber nur dann, wenn der Gegner es auch zulässt. Und genau das war in den letzten Spielen nicht der Fall.

    Das nächste Phänomen ist der Verein selber. Selten haben Werder-Verantwortliche selber proaktiv von Anfang an verlauten lassen, dass man Meister werden will – hinter verschlossenen Türen haben sie das sicher schon häufiger geäussert, aber öffentlich? Selten. Auch hier findet derzeit wohl ein Lernprozess statt, wie man mit der Medienkritik umgehen muss.

    Und schließlich die Fans selber. 2004 war ein sensationelles Jahr, wo die Fans auch schwächere Spiele akzeptiert haben, denn es war zu schön, um wahr zu sein, dass man überhaupt solange oben mitspielen konnte. Die Meisterschaft? Sensationell. Und heute? Heute ist auch der Anspruch der Fans ein anderer. Hätte noch vor einigen Jahren keiner wegen eines Grottenkicks in Gladbach gemeckert, hätte die komplette Kurve die Mannschaft nach vorne gepeitscht, so hörte man doch sehr oft Mitte der zweiten Hälfte das berühmt-berüchtigte „Wir wollen Euch kämpfen sehen“. Als Werder dann das 2:1 geschossen hat, war alles wieder gut und „Deutscher Meister wird nur der SVW.“

    Wenn Werder Meister wird, wäre das traumhaft. Wird Werder nicht Meister (und Schalke hoffentlich auch nicht), qualifiziert sich aber für die Champions League, dann ist das trotzdem gut.

    Sollte der HSV absteigen, wäre trotzdem immer noch alles perfekt 😉

  3. Levitra online. schrieb am 2. Januar 2010:

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