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Oliver Fritsch Schiedsrichter und Hierarchien

von Oliver Fritsch

Ich hab neulich ein A-Jugend-Spiel des Schemas David gegen Goliath gesehen. Bei Goliath, einem Oberliga-Verein mit einigen lokalen Bekanntheiten am Spielfeldrand, spielte der Torjäger der Liga, ein 17-Jähriger, für den der Klub, wie nicht nur Eingeweihte wissen, einige Euro lockergemacht hat und der die ganze Palette an Starattitüden im Repertoire hat: Reklamieren, Schwalben, Gockeltum. Der, wie ich weiß, sehr erfahrene Schiedsrichter hatte nicht den Mumm, den Jung-Star zu maßregeln. Jeden Freistoß, den er wollte, bekam er. Auch in der Jugend gibt es Klein und Groß – das ist mir nicht neu. Doch das Maß, wie hier ein routinierter Schiedsrichter sich in seinen Entscheidungen von einem Minderjährigen und seiner Entourage an der Barriere lenken ließ und seinen auch pädagogischen Auftrag unterlief, indem er sich der Hierarchie fügte, hat mich doch geärgert.

Da sind wir natürlich bei der Wiedervorlage Oliver Kahn, für den in deutschen Strafräumen ja auch eigene Gesetze gelten. Seinen jüngsten Ringerhebel gegen den Schalker Larsen und die Gelbe (und eben nicht Rote) Karte durch „Papa Gnädig Herbert Fandel“ (FAZ) hat die Presse einheitlich als Kahn-Bonus verurteilt – wobei es Jahre gebraucht hat, bis bei ihr der Groschen gefallen ist. Denn deutschen Schiedsrichtern fehlte schon immer das Rückgrat, um dem großen und uneinsichtigen Kahn die Grenzen zu ziehen. Wie soll man die Gunst, die ihm die deutsche Schiedsrichterzunft seit fast einem Jahrzehnt gewährt, anders nennen als Versagen?

Andererseits ist Schiedsrichter ein stressiger Job, die Bayern (aber nicht nur sie) verstehen ihr Handwerk der Einflussnahme sehr gut. Mit einer Fehlentscheidung gegen sie kann man schon mal in der Tagesschau landen oder drei Tage lang auf der Anklagebank der Bild-Zeitung. Vielleicht haben einige noch den Fall Hartmut Strampe im Kopf oder im Unterbewusstsein. Strampe verhängte in einem, beschönigend gesagt, Adrenalin-Spiel in Dortmund vor sechs Jahren zehn Gelbe und eine Gelb-Rote Karte gegen die Bayern; als Höhepunkt verwies er mit einem geschätzten Puls von 195 und pochender Halsschlagader das Alpha-Männchen Stefan Effenberg des Feldes. In den Tagen, aber auch in den Monaten danach geriet er durch die schwere, laute und dauerhafte Kritik von Hoeneß und Co derart in den Fokus der Öffentlichkeit, dass er einen Karriereknick erlitt. Wie so oft war der Schiedsrichter der Sündenbock, doch die Sünder waren andere.

Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, wenn sich die Schiedsrichter und deren Vertreter dieses Problems stellen würden. Warum gibt’s nicht mal ein ehrliches Interview über den Druck, den ein Referee empfindet, wenn die Mächtigen ihn über alle Kanäle einschüchtern und kritisieren? Doch das Offensichtliche wird geleugnet – und das oft so verkrampft wie ein Augenzwinkern Markus Merks. Ex-Schiedsrichter Lutz-Michael Fröhlich spannte den Karren vor den Ochsen, um seinen Kollegen Fandel zu verteidigen: „Weil in dieser Szene Oliver Kahn verwickelt ist, der in der Vergangenheit auf dem Platz oft aggressiv aufgetreten ist, fordern viele Medien die Rote Karte. Doch Herr Fandel hat einen Vorgang in einem Spiel zu bewerten. Und nicht die Vergangenheit von Oliver Kahn.“ Stimmt ja nicht, die Leute fordern die Rote Karte, weil es eine Tätlichkeit gewesen ist, eine Respektlosigkeit, eine Demütigung. Sie wollen gleiche Regeln für alle.

Doch vermutlich war das das letzte Mal, das Kahn Milde erfahren hat. Denn Franz Beckenbauer hat grünes Licht für Rot gegeben: „Man müsste mal von Seiten der Vereinsführung erfahren, ob er Probleme hat“, kritisiert der Ober-Bayer seinen Torwart. „So, wie er sich in der letzten Zeit benommen hat, das hat mit Fußball nichts zu tun.“ Die Schiedsrichter haben also nichts mehr zu fürchten.

Übrigens fügt sich auch Kahn der Hackordnung, auch er vergeht sich nie an den Starken, sondern tritt nach unten. Seine Gegner, die er sich zum Kampf aussucht, sind immer Spieler, die einen schweren Stand in ihrem Team oder in der Öffentlichkeit haben: Larsen, Brdaric, Möller, Klose und Diego (die jeweils Startschwierigkeiten in Bremen hatten) sowie aus dem eigenen Verein Herzog und van Buyten. Kahn würde sich nie trauen, Torsten Frings an die Gurgel zu gehen.

#12 meiner Kolumne auf rund-magazin.de

9 Kommentare

  1. Johannes_Hansknecht schrieb am 5. April 2007:

    Hallo Herr Fritsch,

    einerseits stimme ich Ihrer Einschätzung zu, auch was die Aussage von Beckenbauer zu Kahns Verhalten angeht.

    Man muß da nur ein bißchen aufpassen, denn man kann mit so einer Einschätzung recht schnell in der Ecke der Verschwörungstheorie-Anhänger landen.

    Zumindest solange man nicht auf Seiten des FC Bayern steht: Beckenbauer unterstellt Schiedsrichter Baskakov, dieser habe nur auf eine Gelegenheit gewartet; Rummenigges Äußerungen vor dem Spiel in Richtung „Da läuft doch was gegen uns“ – wenn die Bayern sich so äußern, ist das natürlich fern jeder Verschwörungs-Spinnerei. (Steht Baskakov nicht auch auf der „Payroll“ von Gazprom?? OK, jetzt wirds endgültig absurd. SCNR ;-))

    Johannes Hansknecht

  2. Oliver Fritsch schrieb am 5. April 2007:

    Ich rede nicht von Verschwörung, ich rede von Macht und Gehorsam, manchmal auch vorauseilendem Gehorsam.

    In Europa sind die Machtverhältnisse natürlich andere als in Deutschland. Das Empfinden der Bayern, dass den Mailändern eher ein Elfmeter zugesprochen wird als ihnen, kann ich nach den letzten Spielen teilen. Ob man dann gleich so auf die Pauke hauen muss wie Beckenbauer? Warum nicht so locker reagieren wie Ancelotti?, der zugegeben hat, dass es kein Elfer war – und darauf hingewiesen, dass ihnen ein Tor wegen einer falschen Abseitsentscheidung aberkannt wurde.

  3. newtown schrieb am 5. April 2007:

    Bei diesem wichtigen Thema sind viel stärker die Trainer, Manager und Vorstände der Vereine gefordert.

    Zu Recht menschelt es auf dem Platz und Emotionen kochen hoch, einige Spieler können damit besser umgehen, andere lassen sich eher gehen (das betrifft in unserer Gesellschaft ja nicht nur die Fußballplätze).

    Einerseits kann man nun erwarten, dass die unabhängigen Schiedsrichter nicht mit zweierlei Maß messen, andererseits würde ich mir wünschen, dass die Vereine selber (also in erster Linie die Trainer) von sich aus darauf drängen, dass auf dem Platz sportlich miteinander umgegangen wird.

    Gute Beispiele für so eine Herangehensweise finden sich z.B. in den sehr empfehlenswerten Büchern von Dean Smith oder John Wooden, die beide äußerst erfolgreich im US-College-Basketball gearbeitet haben. Zwar ist die Sportart nicht vergleichbar, die Art und Weise der Führung sind aber universell.

    Also, um es konkret zu machen: Der Rüffel von Franz Beckenbauer ist schon lange überfällig! 🙂

  4. Ylem schrieb am 6. April 2007:

    @ newtown: sehe ich ähnlich. Ein Beispiel hierfür war das Verhalten von „Kloppo“ im (erneut vergeblichen) Aufstiegskampf der Mainzer vor ein paar Jahren – einer seiner Stürmer wurde gegen Ende des Spiels im gegnerischen Strafraum leicht touchiert, fiel aber nicht hin sondern versuchte das Tor zu machen. Klopp brüllte irgendwas so wie „Da mußt Du Dich fallen lassen!“ – was von den Premiere-Außenmikrofone deutlich eingefangen wurde.

  5. BluePirateS04 schrieb am 6. April 2007:

    Ich denke Oliver Fritsch trifft den Nagen auf dem Kopf.

    Kein Mensch unterstellt den Schiedsrichtern bewusste Parteinahme für den FC Bayern oder für einen Spieler Kahn.

    Aber im Unterbewusstsein wird es sich ein karrierebewusster Schiedsrichter – und karrierebewusst sind sie fast alle – dreimal überlegen, ob er bei Zweifel gegen den FC Bayern entscheidet.
    Fritsch hat das Beispiel Strampe angeführt. Ganz spontan fällt mir da auch noch das Spiel der Bayern in in Mönchengladbach Ende Oktober 2004 ein, welches noch vielen Schiris im Gedächtnis/Unterbewusstsein sein dürfte. Damals ist Uli Hoeneß nach einer Niederlage in die Kabine des Schiris gerannt und hatte diesen angeschrieen und für die Niederlage verantwortlich gemacht. Der Schiri hatte dazu extra einen Bericht geschrieben für die Sportgerichtsbarkeit, die letztendlich Hoeneß nicht einmal sanktionierte. Der Schiri war am Ende der Depp und sah sich weiter dem Kreuzfeuer der Bayern-Abteilung „Attacke“, die bestimmte Medien (Bild/Springer, Burda-Presse, Reste der Kirch-Gruppe) ganz hervorragend für ihre Zwecke (be-)nutzt, ausgesetzt.

  6. Oliver Fritsch schrieb am 6. April 2007:

    @Blue Pirate: Es ist genau dieses Gladbach-Spiel, das ich im Hinterkopf hatte. Die Entscheidung des Linienrichters (Rot für Lucio) wurde tagelang durch Bild und Co in Zweifel gezogen, weil er angeblich zu weit weg vom Tatort gestanden habe. Nach dem Motto: Wie konnte er aus 60 Metern Entfernung (Bild hatte nachgemessen) die Sache überhaupt sehen?

  7. petertrompeter schrieb am 6. April 2007:

    Zum letzten Absatz von „BluePirateS04“ möchte ich noch einige „Lobbyisten“ in Sachen Öffentlichkeitsarbeite erwähnen: Herr Lattek via DSF, welcher uns nicht nur seine zahlreichen Traineranektoten und taktischen Meisterleistungen näher bringt, sondern stets brav die bayernnahe Schmuseecke sucht. Oder man könnte vielleicht auch noch Herrn Markwort (Bayern-Funktionär) nennen, welcher schon in Bayern-Fragen -seinem Journalistenethos zum Trotz (Fakten, Fakten, Fakten) stets in Vereinsbrille Rot kommentiert. Die Reihe könnte fortgesetzt werden.

  8. petertrompeter schrieb am 6. April 2007:

    Natürlich möchten wir unseren Fußball international weiter in Kontakt zur europäischen Spitze wähnen!
    Es hat wirklich Spaß gemacht, dass die scheinbare „Weltmacht Real“ von den Bayern bezwungen worden ist. Irgendwie verkehrte Welt, die Bayern als Golith, oder? Wir möchten natürlich nicht hoffen, dass der FC Bayern nicht gegen Mailand ausscheidet. Deshalb wurde ja zunächst von Herrn Rummenigge (wird immer mehr Abteilung Attacke), dann von Herrn Hoeneß und Beckenbauer die Medienmaschinerie öffentlichkeitswirksam bereits schon vor dem Spiel bedient. Und siehe da, nach dem Spiel noch mehr, wenn -natürlich ein bißchen einseitig- geklagt wird, nur Bayern wären benachteiligt worden.
    Wenn Bayern jetzt aber ausscheiden würde, gibt es dann aber sicherlich gute Gründe. Wir vermuten einmal, dass wenn der FCB die UCL nicht gewinnt, dann spielt uns die Bayernführungsriege die Tragödie „Bayern nur David in Europa auf“ und die Bundesliga solle doch bitte Verständnis haben, dass der FCB bitte mehr Geld ( z. B. aus den Fersehgeldern usw.) benötige, um den deutschen Fußball zu vertreten usw. Vermutlich wendet der FCB dann (trotz dem gerne und oft zitierten sagenumwobenen Festgeldkonto) wieder das darwin’sche Gesetz an -diesmal aber nicht wie in der Bundesliga, in der der FCB den T-Rex, also das Ende der Nahrungskette darstellt- sondern sich als David. Seien wir gespannt. Aber lieber wäre mir, sie kämen nicht dazu, dass hieße nämlich, sie würden die UCL gewinnen, aber ein Argument verlieren.

  9. philipps schrieb am 11. April 2007:

    Wer sich so weit aus dem Fenster lehnt wie die Bayern und speziell Kahn, hat es natürlich verdient, hart kritisiert zu werden. Trotzdem sollte dabei die Objektivität nicht auf der Strecke bleiben. Die Forderung „gleiche Regeln für alle“ klingt so, als sei jeder andere außer Kahn vom Platz geflogen. Das ist natürlich Quatsch. Solche Milde erfahren auch andere Klubs und Spieler. Was „Papa Gnädig“ Fandel betrifft: Er hat entschieden, eine rotwürdige Aktion nur mit Gelb zu bestrafen. Da ist er nicht der Erste und bestimmt auch nicht der Letzte.

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