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Oliver Fritsch Es muss mehr gefummelt werden!

von Oliver Fritsch

Ein schlechtes Argument wird nicht dadurch besser, wenn man es gegen eine falsche Sache richtet. Stefan Effenberg hat die Beschwerde Uli Hoeneß’, die Gegner hätten es auf seine Stars abgesehen, mit dem Spruch gekontert: „Wer den Ball so lange hält wie Ribéry, muss sich nicht wundern, wenn er auf die Socken kriegt.“ Damit setzt er sein Alpha-Tier-Gehabe, das man aus seinen aktiven Socken-Zeiten kennen, als TV-Experte fort.

Effenbergs Gerechtigkeitsverständnis ist mir aus drei Jahrzehnten Erfahrung im Jugend- und Kreisligafußball bekannt. Erst neulich war ich bei einem C-Jugend-Spiel, in dem, nach einem harten Foul, von der Seitenlinie der Satz fiel: „Spiel Deinen Ball ab, dann passiert Dir so was nicht!“ Und als ich letzte Woche mit Freunden das England-Spiel im Fernsehen sah, rief einer nach einem Tritt gegen Piotr Trochowski: „Selbst dran schuld, wer nicht abspielt!“

Diese Denkschablone lässt auf eine deutsche Abneigung gegen das Dribbeln schließen, also gegen den starken Einzelspieler. Gute Dribbler (oder Fummler, wie man sie abwertend nennt) stehen immer im Verdacht, auf ihre eigene Kosten zu spielen. Also undeutsch. Nach meiner Beobachtung wird das Dribbeln auch selten trainiert und gefördert, manchen will man es sogar abgewöhnen. Dabei ist die Gleichsetzung „Dribbeln ist Egoismus“ höchst fraglich, kann doch der ballstarke Spieler Lücken und Löcher in der Deckung des Gegners reißen, die seine Mitspieler dann nutzen können.

Doch, und damit zurück zu Effenberg, selbst wenn man diesen Einwand außen vor lässt – ist es gerecht, wenn eigensinnige Spielweise durch ein Foul bestraft wird? Warum sollte die Sanktion ausgerechnet durch einen Gegenspieler ausgeführt werden statt durch den Trainer oder einen darunter leidenden Mitspieler? Treten die Hannoveraner und Bremer Klose, Ribéry und Co also im Sinne des Münchner Miteinanders? Auch gerechtigkeitstheoretisch steht die Effenberg-These auf wackligen Beinen.

Hoeneß ist natürlich leicht zu durchschauen, folglich werfen ihm Presse und Fußballöffentlichkeit Wichtigtuerei vor und den Versuch, Schiedsrichter zu beeinflussen. Dennoch erstaunt – Hoeneß hat schon unwidersprochen dreisteres gesagt – der große öffentliche Widerspruch von jedermann. Heute hat David Jarolim, nächster Gegner der Bayern, in „Bild“ Contra gegeben. Ausgerechnet! Es gibt keinen Spieler in der Bundesliga, der schneller fällt und lauter „Aua“ schreit. Wenn man so will, tut Jarolim nichts anderes als Hoeneß.

Ein glaubwürdigerer Opponent ist Rudi Völler, der selbst mal den umgekehrten Fall erlebte und Opfer bayerischer Gangart wurde. Allerdings ist es mehr als zwanzig Jahre her, dass Völler nach einem Kuss des Bayern-Liberos Augenthaler ein halbes Jahr lang auf dem OP-Tisch, in der Reha-Klinik und auf der Tribüne verbrachte.

Hoeneß weiß übrigens, wovon er redet. Sollte er zumindest. Wenn nicht, sei er daran erinnert: Im April 2001, in der Hochphase der Rivalität zwischen Borussia Dortmund und Bayern München, traten die Bayern im Westfalenstadion offensichtlich mit dem Ziel an, Tomáš Rosický, den die Dortmunder den Bayern weggeschnappt hatten, abwechselnd über die Werbebande zu treten – um sich nachher über zwei Feldverweise und die angeblich simulierende Spielweise des Gegners zu beschweren.

Nun gut, alte Geschichten. Doch blicken wir auf die Gegenwart: Das Foul des Hannoveraners Lala, das die Bayern-Bank so erregt aufspringen ließ und für das er vom Feld geschickt wurde, war so harmlos wie sonst was. Und bei der Diskussion über die Schere, mit der Naldo Klose eine Woche zuvor in Bremen zerschnitt, übersahen alle (außer Franz Beckenbauer), dass eine Minute zuvor die bayerische Abwehrsense Demichelis nicht nur den Bremer Stürmer Sanogo, sondern fast auch noch den Linienrichter ummähte – übrigens ohne, dass Foul gepfiffen wurde.

Effenberg würde nun wohl ein weiteres Axiom seiner Fußballgerechtigkeit geltend machen: nämlich dass sich gerade die Auswärtsmannschaft über diese Form der Vergeltung nicht zu beklagen braucht. Doch das wären Ansichten aus dem Mustopf. Oder vom Spielfeldrand der Kreisliga.

Ich plädiere daher für faires Spiel. Für weniger Heuchelei. Und für eine Aufwertung des Fummelns.

#1 meiner Kolumne auf stern.de

5 Kommentare

  1. M.Wiemer schrieb am 31. August 2007:

    Im Zuge der Vorberichterstattung zur Fußball WM 2006 brachte Phoenix ein Porträt über Diego Maradona. Die Szenen der brutalen Fouls in der spanischen Liga taten mir fast selber physisch weh. Selbiges habe ich beim Rambo Foul von Meira an Mintal im Pokalfinale verspürt. Natürlich wurde Rosicky nicht mit Samthandschuhen angefasst. Die Reaktion der Bayern auf die Völler Verletzung war auch nicht okay und im derzeitigen Kader sind mit Demichelis und Bommel auch keine Schachspieler drin. Bommel spielt jedoch seit seinem Gespräch mit Rummenigge offensichtlich fairer. Doch wir sollten nicht immer in die Geschichte schauen. Aktuell ist das Naldo Foul ohne Rote Karte geblieben. Für den Tag hätte Naldo einen Waffenschein gebraucht. Allofs nahm ihn in Schutz. Er wäre körperlich nicht frisch. Ja darf man einen Spieler der mit seiner unfrischen Spielweise die offensichtliche Verletzung an Miro Klose in Kauf nimmt überhaupt spielen lassen ?
    Natürlich polarisiert Effenberg. Uli Hoeneß auch. Doch davon leben zwei Fußballfachzeitschriften (Kicker und Sportbild) sowie zahlreiche Tageszeitungen (wie Bild, AZ, Nürnberger Nachrichten, Tagesspiegel etc.), etliche Fußballsendungen (was würde DSF ohne Fußball sein) sowie etliche Sportinternetportale. Ich plädiere auch für faires Spiel und für etwas mehr Gelassenheit.
    Im übrigen lobte letztens Jogi Löw die Italiener für Ihr faires Zweikampfverhalten. Dies schien mir dann doch etwas weit hergeholt.

  2. Zu langes Ball halten rechtfertigt ein Foul - Fussballer reden viel schrieb am 31. August 2007:

    […] gefunden auf http://www.direkter-freistoss.de […]

  3. Duelp schrieb am 31. August 2007:

    Den Einwand von Effenberg kann man auch anders deuten als: Fummeln ist undeutsch.

    Im taktischen Sinne: Wer den Ball dribbelt, gibt dem Gegner gelegenheit sich zu stellen und gezielt zu attackieren. Wer hingegen den Ball schnell abspielt und sich direkt frei läuft, der macht es dem Gegenspieler ungleich schwerer.

    Aus dieser Perspektive ist Ribery absolut selbst schuld, dass er oft gefoult wird. Mit einem Foul gegen ihn wird das Tempo aus dem Spiel genommen und die Abwehr kann sich formieren. Es wäre also fahrlässig, ihn gewähren zu lassen und auf deswegen auf ein (taktisches) Foul zu verzichten.

    Denn genau wie du schreibst: Durch erfolgreiche Dribblings entstehen Ãœberzahl-Situationen und die Deckung wird aufgerissen. Sie sind also, wenn es gelint eine echte Waffe.

    Egal ob Jugend, Kreis- oder Bundesliga: Der Gegner darf an dir vorbeikommen, der Ball auch – aber niemals beides gleichzeitig.

    Etwas anderes sind natürlich Fouls, die darauf zielen, den Gegner vom Platz zu nehmen – aber um die geht es doch überhaupt nicht, oder?

  4. Oliver Fritsch schrieb am 31. August 2007:

    „One-touch-football“ ist schön und gut (wenn man ihn beherrscht). Aber eine Mannschaft, die sich nur darauf beschränkt, wäre limitiert. Auch Arsenal, Protagonist des Direktspiels, war immer auf die Dribbelkunst Thierry Henrys angewiesen.

  5. newtown schrieb am 1. September 2007:

    Taktische Ordnung hin oder her, mir als Fan wird immer besonders bange, wenn in der gegnerischen Mannschaft Einer (oder Mehrere) spielen, die mit dem Ball auf Verteidiger zugehen können und wegen ihrer Klasse vorbeikommen. Und gleichzeitig sind das doch auch mit die schönsten Szenen für uns Fans. Der Trick von Ribery gegen Schulz in Bremen war einfach wundervoll.

    Ein Spieler, der weiß, dass er nicht an den Ball kommt und dann absichtlich Foul spielt (und auch nur Foulspielen will), der zeigt keinen Sportsgeist. Wobei, ich muss mich da selber relativieren: Manchmal muss man mal richtig dazwischen hauen, wenn die eigene Mannschaft einen Weckruf braucht, oder nicht?

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