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„Darfst Du denn überhaupt wieder zum Fußball?“, fragten meine Freunde nach meinem Herzinfarkt im Juni 2008, den ich nach einer Fernsehdiskussion zur Fußballeuropameisterschaft bei „west.art“ erlitten hatte. Böse Zungen in Norddeutschland behaupteten, ich hätte mich so sehr über das antikapitalistische Getue des St.-Pauli-Präsidenten Corny Littmann geärgert, dass mein Blutkreislauf anschließend versagt hätte. Stimmt zwar, dass die Billigkritik am Turbokapitalismus, der angeblich den Fußball beherrsche, gegen den dann die braun tragende, mit Steuergeldern reformierte Provinzidylle Millerntor gepriesen wird, einem wehtun kann, aber die wirklich gefährlichen Herzkrankheiten sind nach Pearl S. Buck „Neid, Hass und Geiz“ – nicht Dummheit. Live-Fußball tut nicht nur meinem Herzen gut: Leidenschaftliche Gefühle wecken die Lebensgeister, und auch das Hirn läuft wieder auf Hochtouren (Weiterlesen …)

Detlev Claussen Zufall und Notwendigkeit

von Detlev Claussen

Der Zufall spielt im Fußball eine unterschätzte Rolle. Er gehört geradezu zum Reiz des Spiels. Allein schon das Verbot für die zehn Feldspieler, die Hand zu benutzen, öffnet dem Zufall Tür und Tor. Wie viel schwieriger ist es doch, den Ball nur mit dem Fuß zu kontrollieren … üben, üben, üben (Weiterlesen …)

Detlev Claussen Eine 6 für Diego?!

von Detlev Claussen

Frings (Juventus Turin) hebt den Ball zu Klose (Bayern München), der mit der Brust direkt zu Diego (Real Madrid) weiterleitet. Statt auf das Tor zu knallen, verzögert der kleine Zauberer, lässt die Herthaner sich schon mal in eine Richtung bewegen und verwandelt zum 0:3 für – Werder Bremen. Eigentlich wollte ich so schnell nicht mehr über meine Lieblingsmannschaft schreiben, um nicht als unverbesserlicher Fanblogger zu erscheinen. Aber nachdem ich die deutsche Sportpresse nach dem Ausscheiden Werders gegen Espanyol studiert hatte, wuchs in mir das Gefühl, etwas anderes auf dem Platz gesehen zu haben, als in der Zeitung stand.

Die Niederlage gegen den spanischen Tabellenelften wurde fast überall gleichlautend gedeutet: Unruhe in der Mannschaft, Wechselgerüchte, Eifersucht und Neidgesellschaft. Personalisiert erschien die ganze traurige Geschichte im Platzverweis nach Schwalbe von Miroslav Klose, der sich noch kurz vor dem ersten Halbfinale mit den Bayernspitzen in einem Hannoveraner Hotel getroffen hatte. Wenn Klose nicht trifft, liegt es an Psyche und Mammon. Die Mannschaft demoralisiert (hauptsächlich durch Kloses Verhalten), müsste folglich auch bei Hertha die Meisterschaft verspielen, gewinnt aber 4:1. Doch Klose trifft wieder nicht. Dreimal Rosenberg. Die alte Schnurre kann weitergesponnen werden. Der wichtigste Spielzug wird gar nicht beachtet, der alle Annahmen infrage stellt: Ich wiederhole mich: Wer Klose in Grund und Boden verdammt, sollte sich die Scorer-Liste anschauen. Frings, Klose, Diego: Die scheinbar abwanderungsbewegten Egoisten kombinieren auch in Berlin meisterlich. Mögen sie am Ende der Saison nur Dritter werden, liegen die Gründe ganz woanders, als die Presse sie pseudoaktuell vermutet: Gegen die Mitbewerber Schalke und Stuttgart gewann Werder keinen einzigen Punkt. 0:12 in vier Spielen. Werders Spiel war den Gegnern vielleicht bekannter als umgekehrt. In allen vier Begegnungen waren jedenfalls Schalke und Stuttgart besser auf Bremen eingestellt, und ihnen gelangen Überraschungseffekte. Eine solche Unflexibilität kann schon eine Meisterschaft kosten; beklagen sollte man sich nicht, sondern die genauen Gründe suchen.

Die Gründe, die mehrheitlich in der Sportpresse für die Misserfolge der letzten Woche angeführt wurden, waren es jedenfalls nicht. Kloses Platzverweis in der 18. Minute gegen Espanyol beim Stande von 1:0 stoppte etwas, was zehn Minuten lang möglich schien, ein neues Wunder an der Weser. Doch dann kam die übliche Umdeutung des Endergebnisses in Notwendigkeit – ein Erbübel dessen, was man Fußballpositivismus nennen kann, der von der Lokalpresse (Weser Kurier) bis in die gehobenen Publikumszeitschriften reicht. Übersehen wurde schlicht der Verlauf der restlichen ersten Halbzeit; in Unterzahl stellte Bremen auf eine Art kick and rush um, der für Espanyol bis zum unglückseligen Reinke-Fehlgriff keine Torchance zuließ und zu einer Unzahl von Ecken führte. Almeida, Frings und Diego schafften es, dem Team in Unterzahl ein Übergewicht auf dem Platz zu geben. Dass diese Umstellung zu vielen langen Bällen, auch Ballverlusten und weniger Kurzpassspiel führte, gehört zur Logik der Sache, wenn man nicht in Schönheit sterben will. „Bild“ benotete Frings mit 4, Almeida 3 und Diego mit 6. Dieser Bewerter hat sein Gehalt nicht als Fußballkenner verdient, sondern als Stimmungsmacher.

Die übliche Stimmungsmache klingt dann so: Millionäre in kurzen Hosen, die keine Treue kennen, haben nur Geld im Kopf, und wenn es mal schief läuft, reißen sie sich nicht „den Arsch auf“ und verlieren gegen jedes noch so schlechte Team. Alles Quatsch! Ich lasse mal die notorische Unterschätzung internationaler Gegner im Uefa-Cup weg. Wie kommt eine Niederlage wie gegen Barcelona zustande? Das 1:2 in Bremen war eine Antwort auf das 3:0 aus dem Hinspiel. In dieses Spiel ging Werder offensichtlich mit einer gewissen overconfidence, dem großen Vertrauen in die eigene Ballsicherheit, mit mindestens einem 0:0 zurückkehren zu können. Vergessen war wohl, dass seit Mertesackers Verletzung nicht mehr die enorme Kopfballüberlegenheit vorhanden war – Löcher bei Ecken und Freistößen taten sich auf (leider auch später in Bielefeld). Espanyol machte drei Tore aus Ecken; dann, typisch Werder, spielt die Mannschaft eben auch schon in Barcelona nach dem Platzverweis für Wiese nach vorne, kassiert das 0:3. Die deutsche Sportpresse jault auf: mangelnde Laufbereitschaft statt dumm gelaufen. Selbst Klaus Allofs greift in die Rhetorikkiste und redet vom „Messer zwischen den Zähnen“. Klose will im Rückspiel gleich das Messer zeigen: Gelbe Karte in der 2. Minute, total übertrieben. Der Schiedsrichter war entschlossen auf den Platz gekommen, die Heimmannschaft in die Schranken der Disziplin zu weisen. Aber er war auf Werder fixiert; weder systematische Zeitverzögerung noch sterbende Schwäne nahm er zur Kenntnis. Da kam Kloses Schwalbe, sechs Spanier forderten die Rote Karte. Auch so eine Unsitte, die der Uefa nicht gelingt zu unterbinden. Auch mein Handy meldet mir: zurecht Gelbe Karte. Nach der ersten unberechtigten, nun die zweite. Die deutsche Sportpresse verwandelt am nächsten Tag die Faktizität des Platzverweises in Notwendigkeit. Siehe oben. Ein ganz schlechtes Spiel, keine Spielkunst, kein Zauber. Nicht gesehen, was wirklich wichtig war: Die Mannschaft spielt weiter nach vorne, erkämpft sich ein Übergewicht statt Aussichtslosigkeit zu akzeptieren. Bricht nicht einmal nach den Gegentoren zusammen. Ein Sieg der Moral unter widrigsten Umständen, gerade deshalb schmeckt die Niederlage bitter.

Ohne Erfahrungen wie diese fehlte der Liebe zum Fußball, zu einer Mannschaft, zu bestimmten Spielern die Intensität. Nur ein Ahnungsloser konnte Diego eine 6 geben. Dieser Typ des Sportjournalisten sieht in Fußballern nur Angestellte, die im Misserfolg in den Hintern getreten werden müssen. Aber grauenhaft wird diese Attitüde von Fußballrohrstöcken, wenn sie noch ihr verschwiemeltes Klassenbewusstsein zur Geltung zu bringen versuchen. Der Satz „Klose, der brave Bub aus Blaubach-Diedelkopf, taugt nicht zum Zocker“ analysiert nicht, er diffamiert. Das Moralisieren über „Schwalben“ wird allmählich unerträglich; dafür gibt es eine Gelbe Karte, ok, aber mehr auch nicht. In England gibt es zwar weniger Schwalben, aber wer zweimal Chelsea gegen Liverpool gesehen hat, dem wird vor Reklamieren bei jedem Foul ganz schwindelig. Und körperliche Attacken gab es im Minutentakt. Sicher wurde Klose schlecht beraten; mit Hoeneß sollte man sich nie in Hannover treffen, wenn man aus Bremen kommt. Nein, im Ernst: Viele Berater agieren tatsächlich wie Zocker, die mit ihren Spielern herumdealen. Im Fußball-Business laufen mindestens so viele unseriöse Berater herum wie an der Börse. Aber es ist genauso schwierig, sich im großen Fußball bei Vereinswechseln richtig zu verhalten wie im Derivatenhandel. Nur die wenigsten kennen sich aus. Immerhin macht dieses Geschäft es möglich, dass Spieler aus Blaubach-Diedelkopf in Barcelona oder London gekannt und geschätzt werden. Solange der Berufsfußball gesellschaftliche Anerkennung ermöglicht, erfüllt er noch einen Traum von Glaube, Liebe, Hoffnung. Ein großer Spieler muss sein gutes Image in der Welt der Liebhaber verteidigen; das ist sein größter Wert. Ein einundzwanzigjähriger Diego tut es auch in einem aussichtslosen Spiel, Frings hat es inzwischen gelernt, und Klose wird es noch lernen. „Bild“ sieht es nicht. Eine 6 für Diego! Man kann sich nur schütteln angesichts dieser Dummheit.

Was für ein Abend! Der Ball lief gut, der Gegner auch. Es bedurfte nicht einmal besonderer Bremer Wetterkapriolen wie undurchdringlichen Nebel oder sturmgepeitschten Dauerregens, um ein neues europäisches „Wunder an der Weser“ möglich zu machen. Um aber nicht gleich des Fußballromantizismus verdächtigt zu werden: Der 4:1-Sieg über Alkmaar muss wie ein Wunder erscheinen, wenn man die Pressekommentare zum Hinspiel vor Augen hat („als Kombinationsfußballer getarnte Biedermänner“). Haben Kritiker dieser Art, die zweifellos Ahnung vom Fußball haben, nur nicht richtig hingeschaut, oder unterliegen sie einfach nur einer deformation professionelle, an die an dieser Stelle einmal kurz erinnert werden sollte?

Die zwei Tore von Miroslav Klose ließen die Unsitte der Minutenzählerei kurz in aller Lächerlichkeit erscheinen. Die Einfallslosigkeit der Berichterstattung wird dem Leser als „Objektivität“ untergejubelt. Statt selbst nach einer Begründung zu suchen, wird dann der Spieler Spieltag für Spieltag aggressiv befragt, um das Unerklärliche zu erklären. Er steht dann entweder als realitätsleugnender Volltrottel da oder als einer, der die Verantwortung von sich schiebt. Interviews dieser Art tragen nicht zur Aufklärung bei. Klose hat nach dem Spiel darauf verzichtet, sich nun glücklich lächelnd vor die Kamera zu stellen, um der Jungfrau Maria für die Hilfe zu danken, dass er doch noch mit Fuß und Kopf das Tor treffen kann; denn der Positivismus der torlosen Minuten wird durch den Glauben an die irrationalen Mächte im Fußball komplettiert. Der „Torjäger“ selbst ist ein Tribut an die Wahrnehmungsverzerrung des Fußballspiels durch die Medien, die aber realitätsbestimmend werden kann. Wird das Spiel auf den Goalgetter ausgerichtet, brauchen Zuschauer und Medien nur noch auf ihn zu achten – allerdings auch die gegnerische Abwehr. Der Torjäger wird in den Himmel gehoben; der Torjäger, der nicht trifft, in die Hölle verdammt. Der spielende Mittelstürmer vor allem in Deutschland wird von den Medien unterschätzt; die meisten konnten es nie verstehen, warum Bayern-Star Roy Makaay in der holländischen Auswahl nie als Nummer eins gehandelt wurde. Die Scorer-Liste, die kaum in einer deutschen Tageszeitung veröffentlicht wird, sagt viel mehr aus als die Torjägerliste; denn sie klärt mit Zahlen über das Sturmspiel auf. Findet der assist mehr Anerkennung, würde auch mannschaftsdienlicher gespielt. Das unsinnige Draufknallen aus aussichtsloser Position („Den muss er selber machen“) lässt sich Spieltag für Spieltag beobachten, aber diesem Typ des Chancentods wird viel weniger Beachtung geschenkt als den „torlosen Minuten“. Klose liefert ein sehr gutes Beispiel für einen spielenden Angreifer; er sammelte weiter Scorer-Punkte, als er längere Zeit nicht selber traf – auch schon in der torreichen Zeit Werders im Goldenen Oktober 2006. Die Minutenzählerei ist nicht nur einfallslos, sondern hat schädliche Wirkung für die Spielkultur.

Der Donnerstag brachte nicht nur die Kloses Wiederauferstehung, sondern auch die des Bremer Kombinationsfußballs. Als Erklärung seien einige Hinweise angeboten: Die k.o.-Runde eines europäischen Pokals prämiert nach einem 0:0 im Hinspiel das Erzielen eines Tores. Beide Mannschaften gaben ihr bestes, um jeweils ein weiteres Tor zu erzielen. Selbst nach dem 3:1 konnte Bremen sich nicht sicher sein, die nächste Runde schon erreicht zu haben, während Alkmaar immer mehr riskieren musste, um noch im Rennen zu bleiben. Beide Mannschaften suchten ihr Heil im Kombinationsfußball; deswegen kam auch die Erinnerung an das 1:1 gegen Barcelona in der Gruppenphase der Champions League auf, die Werders Goldenen Oktober eingeleitet hatte. Ein wesentlicher Aspekt für den Erfolg in dem Kräftevergleich mit Alkmaar auf Augenhöhe ist in Tim Borowskis Rückkehr zu sehen. Im Herbst 2006 hatte er noch nicht wieder seine WM-Form erreicht; jetzt gab er Werder ein Übergewicht an Aggressivität nach vorne, die eben die Spitzen besser zum Einsatz brachte als je zuvor. Durch seine eigne Gefährlichkeit schuf er Diego endlich wieder die Freiräume, die ihm durch gnadelose Defensivkicker wie Cottbus geraubt wurden. Statt mit den üblichen vieren hatte Diego es diesmal meist nur mit zweien zu tun – ein Abend voller Herrlichkeit. Klose bekam nun die Bälle, die er braucht, in einer anderen Anzahl und Qualität. Ende der torlosen Minuten. Nicht Klose hat sich verändert, sondern ein verändertes Spiel ermöglichte auch Klose einen entscheidenden Schub. Genauso wichtig: Tor Nummer 4. Diego schloss eine One-touch-Staffette ab, die im Bundesligaalltag enger Defensivtaktik nicht naheliegt. Hans Meyer weiß eben, was er tun muss, um nicht haushoch in Bremen zu verlieren; sondern die Bremer wie „Biedermänner“ aussehen zu lassen.

Neben der Torjägerfixierung ist eine der Hauptquellen verzerrter Wahrnehmung der Fußballpatriotismus. Im rückwirkenden Vergleich der internationalen Ergebnisse der letzten Woche wird dies deutlich: drei englische Vereine im CL-Halbfinale, drei spanische im Uefa-Cup-Halbfinale, dazu Milan und Werder. Fehlerquelle Nummer eins: Die Vereine repräsentieren nicht die Nationen, sondern die jeweiligen Fußballgesellschaften mit ihren spezifischen Fußballkulturen: Premier League, Serie A, Primera Division, Bundesliga. Die Ligen sind sicher durch ihre finanziellen Möglichkeiten mitbestimmt, aber keineswegs ist der Vulgärökonomismus vom Geld, das Tore schießt, gerechtfertigt. Hier wird Empirie missbraucht, um das Vorurteil zu legitimieren. Über die längste Zeit gesehen, sind trotz aller ökonomischen ups and downs die englischen Clubmannschaften die erfolgreichsten in den europäischen Wettbewerben. Die englische Fußballgesellschaft hat sich als die flexibelste, multikulturellste und internationalste erwiesen trotz einer erschreckend chauvinistischen medialen Fußballöffentlichkeit erwiesen. In der Premier League wird nicht nur ein vielfältiger Fußball gespielt, mehrere Topvereine haben sich für eine internationale Spielkultur geöffnet: Trainernamen wie Benitez, Wenger, Houllier sprechen für den Premier-League-Fußball, von dem die Kontinentaleuropäer nur die europäische Spitze sehen. Kommt es zum Nationalmannschaftsfußball, erschreckt die Gnadenlosigkeit, mit der die einheimischen Stars niedergemacht werden, von denen die Medien die gleichen Erfolge erwarten wie im Vereinsfußball. Die Differenz zwischen Clubs und Nationen wird von den englischen Fußballpatrioten strukturell übersehen.

In Deutschland gilt diese fußballpatriotische Identifikation vor allem mit dem FC Bayern. Der enttäuschte Patriotismus kippt nach jedem Ausscheiden in der Champions League um, wird dann mit dem Kleinreden der nationalen Konkurrenz beantwortet. International wird der Erfolg der anderen mit dem größeren Geld begründet, für eignen nationalen Misserfolg gibt es dann gar keine Gründe mehr. Das macht die gegenwärtige Ratlosigkeit aus. Die Abwertung des Uefa-Cups aus Bayernsicht gehört zum strukturellen Größenwahn, mit dem man auch keine Champions League gewinnen kann. Viele große Mannschaften haben sich im Uefa-Cup ihre ersten internationalen Sporen verdient, bevor sie in der Champions League reüssierten. Selbst den Bayern hat der von Otto Rehhagel (aus Beckenbauers Sicht kein Erfolg) vorbereitete Triumph 1996 gut getan, bevor sie zum letzten Mal die Champions League gewannen. Der Uefa-Cup ist nämlich keineswegs ein „Cup der Verlierer“ (Beckenbauer), sondern eine europäische Hochschule des Fußballs, die nur sehr schwer erfolgreich zu absolvieren ist. Der ganze Wettbewerb ist viel weniger vorausberechenbar als die Champions League. Durch die vielen Spiele ist er sehr anstrengend geworden, stellt hohe Ansprüche an die Ausgeglichenheit der Kader, die auch für die Präsenz vieler spanischer Mannschaften in der Endphase spricht, die mit großen Kadern arbeiten. Die Substanz dieser spanischen Mannschaften besteht zu einem sehr soliden Teil aus der Massenbasis des lateinamerikanischen Fußballs, der aus den fragwürdigen Extraprofiten der spanischen Bauindustrie bezahlt wird. Weder zu den englischen noch den spanischen Finanzierungstechniken sollte man jemals in Konkurrenz treten wollen. Die Serie A taumelt schon am Rande des Abgrunds; die Herrlichkeit kann ganz schnell zu Ende sein. Die Extraökonomie des Fußballs garantiert keine nachhaltigen Erfolge. Leeds und Dortmund lassen grüßen. Über den Uefa-Cup aber lernt man auch Mannschaften und Spieler kennen, die der Humus des Champions-League-Fußballs sind. Wenn Bayern wirklich eine neue Mannschaft aufbauen wollte, dann wäre die Teilnahme am Uefa-Cup 2007 keine Katastrophe, sondern ein Lernprogramm; aber das Wortgerassel aus München deutet in eine ganze falsche Richtung: das Festgeldkonto plündern, um ein paar Stars zu holen. Das macht keine Mannschaft aus.

Auch im Spitzenfußball geht es nicht nur um Clubs, sondern auch um Mannschaften, die vergängliche Gebilde sind. Der Zyklus, der an die Spitze führt, an der sich keiner mehr lange halten kann, ist langwierig; der Aufbau einer Topmannschaft dauert wenigstens drei Jahre und in starken Ligen wird sie vielleicht nicht einmal Meister. Wenn man sich nicht schon den mühsamen Weg von Chelsea anschauen will, dann sehe man auf Alex Ferguson und sein ManU, die dieses Jahr zum Favoriten der Champions League avanciert sind. Wie viel Geld, Mühe und Know How steckt dahinter? und die Bayernführer wollen nur mal kurz in die Kasse greifen … Für diejenigen, die hinter den Top Ten der Ökonomie (zu denen Bayern ja gehört) kommen, ist die Sache ungleich komplizierter. Bauen sie ein gute Mannschaft auf, der sogar eine nationale Meisterschaft gelingt, drohen ihnen die Stars weggekauft zu werden, bevor der ganz große internationale Erfolg kommt. Porto hat es bis zum Champions-League-Sieg geschafft, bevor sie ausgeraubt wurden, Lyon trotz großartiger Kontinuität noch nicht einmal bis dahin. Als Konsequenz der diesjährigen europäischen Erfahrung von Werder und seinem wunderbaren Abend gegen Alkmaar lässt sich sagen: Erfreuen wir uns an Diego, Klose und Frings, solange sie in dieser Mannschaft spielen; aber erwartet nicht mehr von Werder Bremen als ihr von Porto, Benfica und Sevilla erwartet. Mit diesen Teams seit drei Jahren auf einem Level zusammen zu spielen, ist doch das wirkliche Wunder von der Weser.

Endlich wieder einmal live dabei. Mehr als das – mittendrin im europäischen Fußballalltag, Viertelfinalrückspiel Uefa-Cup Werder gegen Vigo. Schön ist es, mal wieder im Stadion Fußball schauen zu können; man darf sich selbst aussuchen, was man gerne sehen möchte. Allerdings muß man auch mit dem Zweifel leben (Weiterlesen …)

Detlev Claussen Mensch, Werder …

von Detlev Claussen

Wenn ein alter Fan an seinem Fußballverstand zweifelt, muß man an eine ernste Krise glauben. In den letzten Monaten des Jahres 2006 hatte man es als Werder-Fan leicht. Ãœberall wurde man mit Komplimenten überschüttet. Geärgert habe ich mich nur über viele Kommentare nach dem Ausscheiden aus der Champions League. Als ob andere Clubs (deutsche?) mit Leichtigkeit Chelsea oder Barca ausgeschaltet hätten! Hätte man mich am Ende der Winterpause gefragt, wie die Werdermannschaft einzuschätzen sei, hätte ich geantwortet, noch nie, seit ich Werderfan bin (also seit Beginn der sechziger Jahre), hat es eine so spielstarke Mannschaft in Grün-Weiß gegeben. Darunter waren Meistermannschaften, ein Europapokalsieger der Pokalsieger – gloriose Wunder von der Weser; aber ernsthaft, kein Vergleich mit der heutigen Mannschaft, die auch noch derjenigen mit Micoud spielerisch überlegen schien. Und nun die Rückschläge … macht auch im Fußball Liebe blind?

Aber Halt, Stopp! Ein Fan, der nur eine schön spielende Mannschaft liebt, die dann auch noch gewinnt, ist gar kein Fan. Die erste Deutsche Meisterschaft, die Werder 1965 unter Willy Multhaup gewann, war vielleicht das Urwunder von der Weser gewesen. Aus einer kleinen Gruppe von eher biederen Fußballern (im harten Kern zwölf Spielern) formierte Multhaup ein modern 4-2-4 spielendes Team, das sensationell alle anderen deutschen Topvereine hinter sich ließ. Der Außenseiter, der seine Chance nutzt – das hat mich zum Fan gemacht. Aber einmal diese Geschichte erlebt, die man identifizierend mitgeht, bleibt man auch in schlechten Zeiten dabei, und man überlegt sich, wie ein solches Wunder wieder möglich ist. Das Weserstadion hatte noch viele Enttäuschungen bereit, unter anderem einen Abstieg von Werder aus der Bundesliga. Doch dann kam Otto Rehhagel, der noch bei Multhaup Anschauungsunterricht genossen hatte, und hat diese Geschichte vom Außenseiter mehrfach wiederholt. Auch wenn man längst nicht mehr die Chance hat, alle Spiele im Stadion zu verfolgen, Fan bleibt man auch in der Ferne, vielleicht noch mehr, als wenn der Weg zum Weserstadion nur ein Fußweg ist. Die Zeiten nach Rehhagels Weggang waren schlimm; vor allem Trainermißgriffe. Freude hatte man nur an Heimsiegen über die Bayern, schon fast kleinkariert. Doch dann kam die Belohnung langen Wartens: Schaaf und Allofs formierten aus Werder eine europäische Spitzenmannschaft in den Zeiten des globalisierten CL-Fußballs. Unglaublich, aber wahr …

Plötzlich vermischte sich beides: die Liebe des Fans und eine Idee, Fußball zu spielen. Werders Fußball sollte in den Augen des Fans beweisen, daß Angriffsfußball erfolgreich möglich ist, auch wenn man nicht über Ressourcen wie Barcelona verfügt. Vielleicht könnte man sich an Lyon orientieren, gegen die es auch schon mal im Jahr 2000 ein (fast vergessenes) Wunder an der Weser gegeben hatte. Aber da fragt sich der Soziologe in mir, Lyon und Bremen im Vergleich? Nicht übermütig werden! Tatsächlich waren die CL-Begegnungen 2004 gegen Lyon ernüchternd; man hatte genau gesehen, woran es Werder sportlich mangelte: an einem international konkurrenzfähigen Abwehrverhalten, ohne dem Offensivfußball abzuschwören. Was nach den verheerenden Niederlagen damals (0:3 und 2:7) galt, gilt heute erst recht: Es wäre dumm, wankelmütig zu werden; nur weil ein paar Spiele einen üblen Ausgang genommen haben. Der Fan muß leiden in solchen Phasen; aber sie bleiben auch den Anhängern von Lyon und Barcelona nicht erspart. Fängt man wieder an, seinen Kopf zu benutzen, dann werden einem die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Fußballbetrieb und Offensivfußball deutlich.

Der Alltag des Fußballs, ohne den der Spitzenfußball niemals das inzwischen erreichte Niveau erlangt hätte, überfordert letztlich die Leistungsfähigkeit der Spieler. Die Clubs mit ganz viel Geld versuchen, das Dilemma mit großen Kadern auf höchstem Niveau zu lösen. Trotzdem haben auch sie ihre Schwächeperioden; und die Tatsache, daß noch nie ein CL-Titel verteidigt wurde, kann als Beweis für die mangelnde Reproduzierbarkeit des Erfolgs dienen. Strukturell hat der Ligafußball, also die Regelmäßigkeit des Spielbetriebs, die Defensive begünstigt; es bleibt leichter, ein Spiel zu zerstören als eines aufzubauen. Deswegen hat der Fan auch Kategorien wie „gerecht“ und „ungerecht“ zur Verfügung, um sich über eine Niederlage zu trösten. Der Fußballverstand sagt einem aber, daß jede Niederlage ihre Gründe hat – auch die „ungerechte“. Und eine Niederlagenserie erst recht.

Der einfachste, aber deshalb nicht falsche Gedanke: Keine Mannschaft kann über eine ganze Saison gleichmäßig auf höchstem Niveau spielen. Physische und mentale Erschöpfung gehören zur harten Arbeit des Fußball-Showbusiness. Gerade die großen Extraspiele bei der WM, gleich danach bei der EM Qualifikation und bei der Champions League erfordern bei einer offensiv ausgerichteten Außenseitermannschaft wie Werder Extraanstrengungen, für die auch irgendwann bezahlt werden muß. Ohne dieses Extra aber ist Werder auch „nur“ eine durchschnittliche Spitzenmannschaft, die an gut organisierten Defensiven mehr als einmal scheitern kann. Keineswegs ist ausgemacht, daß die spielstärkste Mannschaft auch Deutscher Meister werden muß. Dazu gehört mehr – ohne auf die fatale Weisheit verweisen zu wollen, Meisterschaften würden in der Defensive gewonnen. Das zumindest haben Fan und Fußballverstand in der Champions League gelernt. Die Defensive beginnt auch und gerade für offensive Mannschaften im Sturm. Der Fußballverstand sollte den Fan in mir zur Ordnung rufen: Ungeduld ist der schlechteste Ratgeber. Aber Fußballverstand haben auch andere; werden sie auch auf Schalke und in Stuttgart die Geduld haben?