direkter-freistoss.deNicht-anonymes Fußball-Blog 

Direkt zum Inhalt springen

„Nirgendwo wird so viel getrunken und geraucht wie im Fußball“, fasst der Sportwissenschaftler Wolf-Dietrich Brettschneider verschiedene Studien zusammen. Was die Wissenschaft so alles rausfindet! Für jemanden, der schon mal einen Klub trainiert hat, der in seiner Umkleidekabine einen Quadratmeter von der Fußbodenheizung ausgelassen hat, wo das Bier hingestellt wird, für mich also, bricht jedoch keine Welt zusammen, wenn ihm dieser Befund unterbreitet wird.

Fußball und Alkohol passen zusammen (siehe auch FAZ vom 2. März); mit den Vokabeln dritte Halbzeit, Mannschaftsfahrt und Weißbierdusche können viele Fußballer mehr anfangen als mit Pressing und Hinterlaufen. In nicht wenigen Amateurvereinen wird von einem Trainer erwartet, dass er ab und an seinen Jungs eine Kiste spendiert und auch die Anschlussofferten nach dem Spiel nicht scheut. Autoritätsverlust, den man Thomas Doll nachsagt, weil er auch schon mal mit seinen Hamburger Spielern nachts an der Theke gesessen haben soll, braucht der Bezirksliga-Coach nicht zu fürchten, wenn er als Letzter das Kirmeszelt verlässt.

Auch viele Vereinsvorstände und Helden von gestern fördern und fordern diese soziale Praxis. Da gilt noch die Vorstellung, dass es eine Mannschaft zusammenschweißt, wenn sie zusammen säuft. Abstinenz ist abweichendes Verhalten. Ich hab schon oft den Satz „man muss ja nicht unbedingt Bier trinken“ mit einem Ton gehört, der Toleranz ausdrücken soll. Toleranz gegenüber den Wassertrinkern, wohlgemerkt. Nach dem Spiel und nach dem Training sind Bier, Zigaretten und auch mal ein Schnaps die Norm. Übrigens, mit einer Mischung aus Bigotterie und Spießigkeit lehnen dieselben Leute, die den Vollrausch anerkennend goutieren (wenn nicht gar finanzieren), das Kiffen ab.

Die Fußballgeschichte kennt so manche hochprozentige Anekdote, etwa die des Trainers Max Merkel: „Im Training habe ich mal die Alkoholiker meiner Mannschaft gegen die Antialkoholiker spielen lassen. Die Alkoholiker gewannen 7:1. Da war’s mir wurscht. Da hab i g’sagt: Sauft’s weiter!“ Wobei das Interessante an dieser Story nie erwähnt wird, nämlich das Zahlenverhältnis zwischen den beiden Gruppen. War das ein Spiel 13 gegen 4? Der alkoholkranke Trainer Branko Zebec soll mal während eines Elfmeters für den Gegner aus seinem Nickerchen aufgewacht sein und sich nachher bei seiner Mannschaft beschwert haben: „Wie kann der Mann so frei zum Schuss kommen?“ Und Werner Biskup, ehemaliger Trainer von Hannover 96, wurde angeblich nach seiner Amtszeit im Stadtpark gesehen, wie er Bäumen taktische Anweisungen gab. Also war Mario Baslers Koketterie mit Alkohol und Zigaretten, mit der er gerne seinen Mut und seine Unangepasstheit beweisen wollte, in Wahrheit Ausdruck seines Konformismus. Gratismut. Langweilig! Ein Bekenntnis zur Homosexualität – das wäre im Fußball ein Tabubruch. Oder selbst das „Geständnis“, sich von einem Sportpsychologen helfen zu lassen.

1. Mai
Konformisten unter sich

Allerdings scheint der Suff im Zeitalter der Professionalisierung im bezahlten Fußball nur noch eine Quartalserscheinung zu sein. Die Eskapaden am „Schlucksee“ (Motto des Trainingslagers der deutschen Elf bei der WM 82) sind nicht nur unter und nicht erst seit Jürgen Klinsmann undenkbar. Doch als Trainer einer hessischen A-Liga-Truppe muss ich weiterhin jeden Triumph der Frankfurter Eintracht (so selten Triumphe der Frankfurter Eintracht sind) fürchten, wenn am nächsten Tag ein Spiel ansteht.

Bleibt die Frage: Lernt man im Fußballverein das Saufen? Oder treffen und sammeln sich die Säufer im Fußballverein? Ich meine das ernster als es vielleicht klingt. Es könnte aber, zu Ende gedacht, zu einer bitteren Selbsterkenntnis führen.

#10 meiner Kolumne auf rund-magazin.de

3 Kommentare

  1. Linksaussen schrieb am 23. März 2007:

    Nicht nur im Fußballverein. Ich habe meine Jugend mit Handballspielen verbracht (in einer mittelgroßen Stadt im Rheinland) und ab einem gewissen Alter (15, 16) war man auch da öfters außen vor, wenn man keinen Alkohol trank.
    Da wurde auch der Spieler der Herrenmannschaft gerühmt, der trotz durchzechter Nacht die Siebenmeter sicher verwandelte.

    Ein allgemeines Sportvereinproblem, möchte ich meinen. Schach und Voltigieren vielleicht mal ausgenommen (obwohl, vielleicht sammeln sich da die Weintrinker)

  2. vabene schrieb am 23. März 2007:

    Das richtige Zitat lautet:
    „Nirgendwo wird so viel getrunken und geraucht wie im Fußball und im Handball.“
    Frei nach dem Motto „Trau keiner Statistik die du nicht selber gefälscht hast!“ sollte man hier nicht außer acht lassen, dass wir hier die populärsten Manschaftssportarten Deutschlands vor Augen haben: Da würde mich doch interessieren, woher die Aussage kommt, und ob sie wirklich pro Kopf gerechnet ist oder als gesamtes.
    Natürlich bin ich selbst als Fußballer und Trainer für die Präventation vor Alkoholmißbrauch, vor allem im Jugendbereich.
    Allerdings möchte ich davor warnen mit irgendwelchen Parolen Aussagen zu tätigen, die viele Menschen unfairerweise in den Schmutz ziehen, wie es vor kurzem in meiner Region passiert ist.
    Damals ließ sich ein Komunalpolituker zu der Aussage hinreissen:
    „Kinder fangen das Saufen an, wenn sie mit Kicken anfangen…“ Quelle:http://www.cdu-nuertingen.de/pdf/regionales_30_11_2006_2.pdf

    Solche Aussagen wirken meiner Meinung nach in keinster Weise positiv auf Mißstände ein, wenn sie denn wirklich gegeben sind.

  3. Bum schrieb am 16. Mai 2007:

    Also, ich kann da nur aus Erfahrung sprechen und gewisse Bedenken bestätigen: Meine schlimmste Erfahrung war wohl, von einem ehemaligen Trainer zum Spiel gefahren zu werde, der tags vorher seine Jäger(!)-Prüfung bestanden hatte…inklusive Schnapsgemisch mit dem obligatorischen Hasenspritzer. Das das jedoch nicht peinlich, sondern Grund zum weitermachen ist, zeigte sich nach dem Spiel, wo mindestens zwei Kasten Bier aufgingen. Die Ausreden, man müsse noch lernen, oder gar nur fahren, wurden selten akzeptiert, und wenn, dann nur mit einem verständnislosen Seitenblick. Und nüchtern hat auch keiner gespielt (wenn das der Fall war, dann gings sogar meistens noch schlechter, die Motivation schien dann irgendwie weg…).

    Wir wurden übrigens letzter, sind aber nicht abgestiegen. Unterste Kreisklasse. Noch Fragen?

RSS-Feed für Kommentare dieses Beitrags.

Leave a comment

Erlaubte Tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>