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Jürgen Kaube Rote Schwalbe?

von Jürgen Kaube

Immer mehr Stimmen melden sich, um die Einführung der Roten Karte für Schwalben zu fordern. Die Schiedsrichter selber zögern, mit demselben Argument, das auch manche Trainer dagegen sein läßt: Der Druck auf den Schiedsrichter nehme zu, ohne daß er die Mittel habe (Fernsehbeweis), besser zu seiner dann äußerst folgenreichen Entscheidung zu kommen. DFB-Abteilungsleiter Hellmut Krug: „Eine falsche Entscheidung wäre dann ein fataler Irrtum“.
Nun ist es nicht ganz leicht zu sagen, was fataler ist: Ein Strafstoß oder ein Platzverweis. Das dürfte vom Spielstand abhängen. Aber angenommen einmal, der Schiedsrichter würde beim Urteil über Schwalben vom Seitenrand her, also durch einen bildschirmbewehrten Kollegen, unterstützt, so wie es im American Football möglich ist. Oder angenommen, wir entschieden uns auch unter den gegebenen Umständen dafür, daß Schwalben im Strafraum so unerträglich sind, daß wir das Irrtumsrisiko in Kauf nehmen. Dann würde sich im Grunde doch eine andere, wenn auch etwas ungewöhnliche Sanktion anbieten, um zwischen Verteidigung und Angriff, Foul und Täuschungsversuch, Symmetrie herzustellen: Wenn Foul, dann Elfmeter, wenn Schwalbe, dann auch Elfmeter – bei simuliertem Gefoultsein im Strafraum erhält die verteidigende Mannschaft den Strafstoß, den der Angreifer sich erschwindeln wollte. Denn es liegt doch strafrechtlich nahe, das Strafmaß in Beziehung zum Schaden zu setzen, den das Vergehen verursacht. Und was die Leute jetzt an Mehdi Mahdavikias und früher an Andy Möllers Flug aufgeregt hat, ist ja nicht die „grobe Unsportlichkeit“ also solche, sondern der Versuch, einen Strafstoß herauszuholen. Da drängt es sich doch förmlich auf, dem Spieler mitzuteilen, daß sein Versuch so oder so erfolgreich sein wird.

Vor Jahren habe ich mit einem Universitätskollegen ein Buch über Fußballfans im Internet geschrieben. Darüber, was die da so machen und, vor allem, was die da so schreiben und wie sie diskutieren. Es wurde ein soziologisches Buch mit soziologischen Thesen, à la: „Fußballfans nutzen das Internet, diese Mischung aus mündlicher und schriftlicher Kultur, um zum Zwecke der Selbstdarstellung außergewöhnliche Subjektpositionen zu beziehen.“ So weit die Theorie. Doch nun, nach einigen Jahren Praxis in den hellen Straßen und dunklen Gassen des WWW, ist es Zeit für eine (wie wir Akademiker sagen) Verifizierung dieser Hypothesen.

Jüngst bezog ein kritischer Leser mir gegenüber folgende Subjektposition: „Du Blödmann, Du Würstchen! Du bleibst eine kleine Speckbacke, Du [unleserlich], Du [unleserlich]!“ So eine Unhöflichkeit! Wie kann der Typ mich einfach duzen? Viele Kollegen aus anderen Redaktionen bestätigen übrigens, dass ihre User ihre Subjekte ähnlich positionieren.

An spielfreien Tagen googel ich schon mal meinen Namen gerne mit Stichworten wie „Saftheini“ [Subjektposition von der Redaktion geändert] oder verwandtem und lande so immer wieder auf einer Bayern-Fan-Site. Als ich beim Schalke-Deal mit Gasprom auf die ermordete Kollegin Politkowskaja verwies und speziell darauf, dass Putin, der jetzt irgendwie auch ein Schalker ist, kein Wort des Bedauerns über ihren Tod verlor, zog mir ein Schalke-Fan die Grenze; aus der Politik hätten sich Sportfuzzis rauszuhalten: „Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ Auf der Bayern-Site wiederum verabschiedete man sich am gleichen Tag von einer liebgewonnenen Theorie: „Ein Schalker ist er wohl auch nicht.“

Kommentare per E-Mail gibt’s auch schon mal von Kollegen, die sich darüber beklagen, dass ich sie in meiner Presseschau übergehen würde. „Früher wurde ich viel häufiger zitiert“, erinnerte mich einer an meine Pflicht. „Schreibe ich inzwischen nur noch Mist? Habe ich es hinter mir?“ Für solche Selbstzweifel will man natürlich nicht die Verantwortung tragen. Ein zweiter schmollte wegen dauerhafter Unberücksichtigung in apodiktischem Ton: „Ihr Service ist unwichtig geworden.“ Ein dritter gab die Kündigung seines Newsletter-Abos mit den Worten in Auftrag: „Können Sie mich endlich mit Ihren Mails in Ruhe lassen!!!!!!“ Eine Frage mit sechs Ausrufezeichen. Vier oder fünf hätten’s ja auch getan.

Der Großteil der Leserzuschriften und Blog-Einträge ist freilich freundlich, auch viel Zustimmung darunter. Einige kultivierte Fans und Leser zitieren sogar Camus, Nietzsche oder Happel, ein anderer recherchiert in eigener Sache nach einem jüdischen Wiener Taktikpionier der 30er Jahre. Das sind natürlich längst nicht so spannende und außergewöhnliche Subjektpositionierungen wie die Mail, die mich soeben erreicht: „Fritsch, Du hast einen gaaanz Mickrigen.“ IQ meint er.

#6 meiner Kolumne auf rund-magazin.de

René Martens Von Jubelbildern und Vorahnungen

von René Martens

Der älteste Fußballverein Österreichs spielt heute in der 3. Liga: Seit 2000 versucht der First Vienna Football Club, in den Profifußball zurückzukehren, und einen dieser Versuche dokumentiert der Film „Es geht sich immer nicht aus“ von Fred Lachinger, Jonas Müller und Thomas Tesar, den ich in der gerade erschienen März-Ausgabe von Rund besprochen habe (www.rund-magazin.de). An dieser Stelle sei näher eingegangen auf einige Passagen, die mir vor allem deshalb aufgefallen sind, weil ich solche Elemente in der alltäglichen TV-Fußballberichterstattung vermisse: Bilder jubelnder Vienna-Anhänger, die direkt aus dem Fanblock stammen, sowie ebenfalls dort entstandene Tonaufnahmen, auf denen dieses kollektive Raunen zu hören ist, das einsetzt, wenn sich ein Gegentor anbahnt; diese Vorahnung des Unheils, gemischt mit dem Wunsch, das Unvermeidliche möge vielleicht doch nicht geschehen. Solche atmosphärischen Eindrücke, meinetwegen auch: Emotionen, um mal dieses Modewort zu verwenden – sie sind ein wesentlicher Teil des Stadionerlebnisses Fußball, aber das Fernsehen ist in der Regel nicht in der Lage, all dies mit seinem so genannten Produkt zu vermitteln. TV-Manager würden auf derartige Kritik entgegnen, das Geld reiche für Kameras in den Fanblöcken nicht aus, andere Kamerapositionen seien schließlich wichtiger. Oder: Die journalistische Distanz würde es verbieten, die Perspektive einer Fangruppe einzunehmen. Irgendetwas mit Sicherheit bekäme man wohl auch zu hören. „Es geht sich immer nicht aus“ ist als DVD übrigens erhältich über www.gauchecaviar.at, Kinotermine sind, zumal in Deutschland, selten.

Der Mann hat was zu sagen. Vor gut einer Woche hat Ottmar Hitzfeld der SZ ein offenes Interview gegeben, in dem er über seine Vergangenheit beim FC Bayern spricht. Seine Ermattung in der mittelbaren Zeit nach dem Champions-League-Sieg beschreibt er als Tortur: „In den letzten zwei Jahren beim FC Bayern war ich völlig ausgelaugt, ich habe den Druck schon gespürt, wenn ich morgens in die Säbener Straße eingebogen bin. Selbst über Erfolge konnte ich mich nicht mehr wie früher freuen. Es war nicht das klassische Burn-out-Syndrom, aber ich war auf dem Weg dahin.“ Auf die Frage, warum er sich ein erneutes Engagement bei den Bayern antue, antwortet er: „Wer noch den alten Hitzfeld vor Augen hat, der fragt sich das berechtigterweise. Ich habe ja wirklich schlecht ausgesehen. Aber ich kann alle beruhigen: Man muss sich keine Sorgen mehr machen.“ (Weiterlesen …)

Oliver Fritsch Noch ne falsche WM-Prognose

von Oliver Fritsch

Was wurde die Fußball-WM nicht mit Heilserwartungen überfrachtet! Wirtschaftsaufschwung, mehr Arbeitsplätze, Deutschlands letzte Chance, den Anschluss an die Welt zurück zu gewinnen. Pustekuchen. Was wurde die WM nicht mit Warnungen versehen! Rassismus, leere Stadien, einstürzende Stadien, Vogelgrippe, biedere Gastgeber, Invasion osteuropäischer Zwangsprostituierten. Doch alle an die Wand gemalten Teufel waren mit dem ersten Pfiff weggewischt.

Auch für die Liebe hatten die Experten mit dem Schlimmsten gerechnet, was man schon daran sieht, dass ihre Vermarkter aus dem Fußballturnier Kapital schlagen wollten: Die Fun Factory, Europas führender Hersteller von Frauen-„Spielzeugen“, und Spezialist für das, nun ja, Seelenleben der Frau, verkaufte exklusive WM-Exemplare – und zwar in „limitierter Auflage“: Der „Gigolo“ erschien in Rasengrün mit Spielfeldmarkierung und Blümchendekor, garniert mit Fußballkrönchen und dem Schriftzug „Worldchampion“. Der „Dolly Dolphin“, bedruckt mit Weltmeisterspielzügen, bot „Torgarantie“. Die Dinger verfügten, der Hersteller vergaß nicht, darauf hinzuweisen, über einen „langlebigen Motor“. Offenbar wurde mit langen Nutzungszeiten gerechnet, sozusagen mit Verlängerung und Elfmeterschießen. Die Prostitution hoffte, so tönte sie, auf einen Boom durch die WM und baute Mega-Puffs, denn die „die Welt“ war ja auch „zu Gast bei Freundinnen“. Weiß noch jemand, was hinter dem Begriff „Verrichtungsbox“ steckt? Und der an der Börse notierte Konzern Beate Uhse ließ mitteilen, die WM werde die Nachfrage nach Erotikfilmen erhöhen, ohne allerdings einen Beleg für diese steile These zu bieten.

Aber siehe da, auch in Sachen Zwischenmenschlichem lagen die Voraussagen weit daneben. Die Pornos blieben im Regal, die Dildos im Nachtschrank, und draußen vor der großen Stadt standen die Nutten sich die Füße platt. Denn es kam anders. Ganz anders. Nach einer Meldung der dpa deute sich nun, fast neun Monate nach der Weltmeisterschaft, in Deutschland ein Babyboom an. „Freunde hatten einen Beamer in der Garage aufgebaut, dazu der Grill – und die WM-Stimmung war da“, schildert eine werdende Mutter aus Nordhessen den plausiblen Grund für die produktive Mischung aus gesteigerter Zeugungsfreudigkeit und erhöhter Empfängnisbereitschaft. Mensch, so einfach scheint unsere demographische Krise zu lösen zu sein. Quasi in der Halbzeit. Ist der Fußball doch nicht der Feind des Geschlechtslebens?

Doch der Bruder der Vaterfreude, liebe deutschen Männer, ist der Vaterzweifel. Wir Journalisten und Fußballfreunde hielten die WM ja ohnehin für eine eher enthaltsame Zeit; auch eine nicht-repräsentative Umfrage im privaten Umfeld ergab bezüglich der Kopulationsfrequenz eher tote Hose. Trau, schau wem! Pater semper incertus! War das Land nicht voller italienischer Touristen? Beckhams, Figos (keine Witze mit diesem Namen!), Pelés? Es kann zudem kein Zufall sein, dass sich just in diesen Tagen das Bundesverfassungsgericht mit Fragen der Spermakonkurrenz befasst.

Aber warten wir lieber, was rauskommt! Vielleicht endet ja alles mit dem Ausruf: Schatz, es ist ein Ball! Das wäre mal eine dolle Heilsgeschichte für unser Fußball-Land.

#5 meiner Kolumne auf rund-magazin.de

René Martens Keine EM-Bilder?

von René Martens

Es ist jetzt schon rundzweieinhalb Wochen her, dass sich Nikolaus Brender, der Chefredakteur des ZDF, bei einer Veranstaltung seines Senders sehr besorgt gab. Und dennoch scheint bisher nichts passiert zu sein, was seine Sorgern hätte mildern können. Die EM 2008 in der Schweiz und Österreich, sagte Brender bei jenem Termin, gerate „produktionell in Gefahr“, weil noch kein hiesiger Sender mit dem Rechtemakler Sportfive eine Vereinbarung getroffen habe. Brender sagte, man müsse ja bedenken, dass der Aufbau der für die Übertragungen notwendigen Infrastruktur aufwändiger sei als sonst, schließlich finde das Turnier in zwei Ländern statt. Gewiss, Brender versucht so öffentlichen Druck auf Sportfive auszuüben. Auf dass die Rechtehändler endlich mit dem Preis runtergehen. Andererseits: So ganz falsch liegt der ranghöchste ZDF-Journalist nicht mit seiner Äußerung, es sei jetzt „höchste Eisenbahn“ für eine Einigung. So viel Zeit wie vor der WM 2006 werden die Sender, welche auch immer es sein werden, nämlich nicht haben: Mit den Vorbereitungen auf die WM 06 hatten ZDF und ARD zwei Jahre vor dem Start des Turniers begonnen.

Jürgen Kaube Spiele ohne Zuschauer

von Jürgen Kaube

Der italienischen Liga sind Spiele ohne Publikum verordnet worden. Als Strafe für unerträgliche Zustände – also entspinnt sich eine Diskussion wie bei jeder Strafe: ob sie verhältnismäßig ist, ob sie zur Besserung führt, ob nicht Unbeteiligte von ihr mitbetroffen werden. Angesichts der gemeldeten Zahl von 80000 italienischen „Ultras“ – „eine überschaubare Truppe“ (Clarence Seedorf) -, also zumeist rechtsextremer Krawallburschen, die es ganz normal finden, Fußballspiele zu Schlachten umzunutzen, ist es allerdings akademisch, über die Angemessenheit einer solchen Strafe zu diskutieren. Hauptsache, möchte man sagen, der Staat oder was davon übrig ist zeigt sich überhaupt in der Lage, irgendetwas gegenüber solchen Horden durchzusetzen.
Interessanter ist die merkwürdige Situation, die sich aus den Strafmaßnahmen ergibt: das Spiel ohne Publikum. Denn einerseits gibt es natürlich ganz viele Fußballspiele ohne Zuschauer. Auf jedem Bolzplatz finden ständig solche „einsamen“ Begegnungen statt, ohne dass schon jemand behauptet hätte, sie verliefen besonders traurig. Andererseits dürften sich die Profis schon ziemlich seltsam und unnormal in einer solchen Lage vorkommen. Denn sie sind es gewohnt, finden es geradezu selbstverständlich, von Massen beobachtet zu werden. Die ersten Stellungnahmen bekräftigen das. „Die Zuschauer sind ein integrales Element des Sports, und wenn sie nicht dabei sind, fehlt dem Spiel die Seele“, schreibt Dino Zoff in seiner Kicker-Kolumne. Aber welche Zuschauer? Der Soziologe Eric Leifer hat in seinem großartigen Buch „Making the Majors“ (Harvard University Press 1996) am Beispiel der amerikanischen Teamsportarten die steile These aufgestellt, das Fernsehen sorge dafür, dass sich der Heimvorteil abschwächt, weil die Mannschaften eben nicht nur vor anwesendem Publikum, sondern auch vor abwesendem spielen. Es wäre darum jetzt aufschlußreich zu sehen, ob und wie die Abwesenheit des Publikums im Stadion das Spiel selbst verändert. Wie sieht ein Spiel ohne Seele aus? Fliegen die Schwalben anders, wenn ihnen keine Massen mehr zuschauen? Jubelt der Torschütze noch auf dieselbe Weise? Und wie energisch kämpft ein Team noch, das zuhause zurückliegt, wenn es keine Leute mehr gibt, die ihm von draußen mitteilen, daß es zuhause spielt? Spielt man anders, wenn man allenfalls noch von Kameras beobachtet wird? Nicht nur die Forschung zum Heimvorteil würde entscheidend vorangebracht, wenn Catania Calcio tatsächlich bis zum Ende der Saison nicht mehr im eigenen Stadion und nicht mehr vor Publikum spielen dürfte.

Jürgen Kaube Die im Dunkeln sieht man doch

von Jürgen Kaube

Zwischen Platz neun der Bundesliga, also Borussia Dortmund, und den Abstiegsplätzen liegen derzeit nur 5 Punkte. Thomas Kistner schließt daraus in der Süddeutschen Zeitung nicht nur auf die Ausgeglichenheit des hiesigen Spielbetriebs, sondern auch auf sein, im internationalen Vergleich, niedriges Niveau. Man könne wohl auch noch ein paar gute Mannschaften aus der zweiten Liga einmischen, ohne dass es auffallen würde.
Aber gibt dieser Befund wirklich etwas für jenes Urteil her? Mathematisch betrachtet nicht, denn Spielstärke und Punktabstände stehen in überhaupt keinem Zusammenhang: Auch zwischen starken Mannschaften sind die Gewinne der einen die Verluste der anderen. Darum wären auch in einer Liga, die nur aus europäischen Spitzenclubs bestünde, wenn diese gegeneinander vorzugsweise Unentschieden spielen würden, die Abstände zwischen Platz neun und sechzehn gering. Dieser fehlende Zusammenhang zwischen Stärke und Varianz ist wünschenswert, denn man genießt in der Liga wie in der einzelnen Begegnung eben beides: die Qualität und die Spannung, und dazu gehört auch, dass man nicht vom einen zwingend aufs andere schließen kann.
Empirisch betrachtet liegen allerdings tatsächlich in den notorisch starken Ligen – Spanien, England, Italien – zwischen der Mitte der Liga, dort der 10. Platz, und der Abstiegszone derzeit größere Abstände: am wenigsten deutlich noch in Spanien, wo Espanol Barcelona und Celta Vigo nur 7 Punkte trennen, 10 in Italien zwischen Genua und Messina, 14 in England zwischen Blackburn und, ach, West Ham United. Und zwischen der Tabellenspitze und dem Mittelplatz liegen in Spanien 17, in Italien 33 und in England 23 Punkte – jene 23 Punkte, die auch Schalke 04 vor Dortmund liegt.
Will man also überhaupt etwas aus solchen Daten machen, dann bestimmt keine Aussage über das Liga-Niveau. Sie zeigen nur, dass noch die schlechtesten Erstligaklubs in Deutschland nicht viel schlechter sind als der Durchschnitt. Das fußballerische Prekariat reicht bis in die Mittelschichten hinein. Ganz anders etwa in Holland, wo drei wohlgeordnete Blöcke zu beobachten sind. Vier Spitzenteams, dann 8 Punkte Abstand, und zwischen dem Dreizehnten und dem Vierzehnten wiederum 8. Und Gimnastic de Tarragona bräuchte in Spanien mindestens vier Siege in Folge, um aus der Abstiegszone zu kommen, der HSV hingegen könnte es, rein rechnerisch, schon am nächsten Spieltag schaffen.

Jan Schlaudraff, Nationalstürmer von Alemannia Aachen, ist zurzeit deswegen unter der Lupe der Fußballjournalisten, weil er ein weiterer Beleg für die einfallslose Transferpolitik der Bayern sein könnte. Kaufen sie einfach immer nur die Besten der Liga? Vor allem um die Konkurrenz zu schwächen? Um die Konkurrenz zu ärgern? Ist ihre Scouting-Abteilung so sehschwach und unentschlossen, dass sie im Ausland nicht fündig wird? Uli Hoeneß hat in seiner unnachahmbar bescheidenen Art seine Liebe zu Schlaudraff damit begründet, dass die Bremer ihn bereits im Werder-Trikot gewähnt haben sollen: „Da haben wir mal die Muskeln spielen lassen.“ So redet kein Vertreter eines Sportvereins. So redet ein Wirtschaftsunternehmer.

Wie gut ist Schlaudraff wirklich? Was steckt in ihm? Der Spiegel prophezeit ihm heute eine große Zukunft: „Seine Technik und seine Schnelligkeit machen ihn zum Stürmermodell der Moderne.“ Die Berliner Zeitung hingegen will sich noch nicht festlegen, hat zu wenig von ihm gesehen, um ihre Skepsis abzulegen: „Ein pfiffiger Heber, ein rassiger Alleingang genügen – und schon ist Schlaudraff ein Bayern-Profi.“ Die Neue Zürcher Zeitung geht noch härter mit ihm und den Bayern ins Gericht: „Schlaudraff ist das personifizierte Zukunftskonzept des FC Bayern, ein kickendes Eingeständnis: Der FC Bayern dürfte sich zukünftig am Mittelmaß des internationalen Fußballs orientieren – und in der Bundesliga genügsam den Meistertitel anstreben.“ Doch Dribbler, die vor dem Tor die Nerven bewahren und zudem fest und plaziert aus der Distanz schießen können, sind selten. Schlaudraffs Tore jedenfalls können sich sehen lassen.

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Gibt es eigentlich schon die Theorie, dass die Bremer ihr Interesse an Schlaudraff nur vorgetäuscht und als Gerücht gestreut hätten, damit Hoeneß ihn verpflichtet? Die Bayern-Strategie, immer diejenigen Spieler zu kaufen, die Werder auf der Liste hat, weil der besser einkauft und scoutet und gleichzeitig weniger Geld hat, ist doch anfällig für ein solches Ablenkungsmanöver. Nette Vorstellung, dass Klaus Allofs und Thomas Schaaf sich nun darüber die Hände reiben, dass sie den nächsten Diego bereits geangelt haben, während der stolze Hoeneß vorm Spiegel sich selbst Komplimente macht.

René Martens Nur für Top-Verdiener

von René Martens

Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass ich selten Eurosport einschalte. Das könnte, wie ich jetzt weiß, damit zu tun haben, dass ich meinen Weg in die europäische Business-Elite noch vor mir habe. Auf die Sprünge half mir eine Pressemitteilung des Senders, die sich auf eine aktuelle Marktforschungsstudie bezieht. Unter der Ãœberschrift „Eurosport bleibt Leitmedium der Topverdiener in Europa“ heißt es: „Zum elften Mal in Folge ist Eurosport der meist gesehene Sender bei den 20 Prozent der Europäer, die über das höchste Nettoeinkommen verfügen (…) Die aktuelle Studie beweist einmal mehr, dass Sport auch künftig das beste Umfeld ist, um die europäische Business-Elite zu erreichen.“ Womit wir bei einem anderen Medium für Top-Verdiener wären: Vanity Fair. Wie steht es bei dem am Mittwoch neu auf den deutschen Markt gekommenen Wochenblatt um die Sportberichterstattung? Im Impressum ist kein Sportressort ausgewiesen – das fängt ja schon mal nicht so gut an. Beim Stern, gegen den Vanity Fair anzutreten gedenkt, gibt es immerhin vier Sportredakteure – was nicht heißt, dass ich hiermit ein Lob für die Sportberichterstattung der Illustrierten aus Hamburg andeuten möchte. Der einzige VF-Sporttext steht im Ressort „Leute“: ein Interview mit der Schwimmerin Britta Steffen, geführt von Oliver Wurm, dem Ex-Chefredakteur des Magazins Player. Wurm wanderte dort ab, als der Umbau des Fachblatts für „Fußball, People, Style“ (ursprünglicher Untertitel) zur soundsovielten Alte-Jungs-Zeitschrift (neuer Untertitel: „Das wahre Leben. Für Männer“) beschlossen wurde.