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Zwei lange Interviews im Tagesspiegel mit Bundesligatrainern, die beide durch einen saloppen, bisweilen schroffen Ton des Befragten auffallen, insbesondere wenn das Gespräch auf Jürgen Klinsmann kommt. Felix Magath meißelt einen Satz in Stein, der, zumindest mittlerweile, vermutlich wenig Zustimmung finden wird: „Ich bleibe dabei, dass der Erfolg der Nationalmannschaft bei der WM 2006 vor allem auf die Arbeit der Klubtrainer zurückzuführen ist.“ Welch eine Anmaßung! Welch Selbstgerechtigkeit! Nebenbei gefragt, hat Magath die WM eigentlich – und damit entgegen seiner Bekundung – gesehen? Vor der WM ist er durch eine Aussage auffällig geworden, die einen verbohrten Grimm gegenüber der Nationalelf und Klinsmann erkennen ließ – nämlich dass er im Juni 2006 in Urlaub fahren und das Turnier allenfalls am Rande verfolgen werde?

Weiter heißt es: „Klinsmann hat seinen Stil, ich habe meinen. Ich mache diesen Job ja nicht seit ein, zwei Jahren. Bei mir wird es auch keine Laktattests geben. Das mag bei Ausdauersportarten sinnvoll sein. Im Fußball gibt es andere Methoden, und meinen Mannschaften hat keiner mangelnde Fitness nachgesagt. Wenn ein Spieler privat seine Laktatwerte prüfen will, kann er das gern tun. So lange er dafür keine Trainingseinheit versäumt.“ Uns würde natürlich interessieren: Welche Methoden sind Magaths Methoden? Welche Tests setzt er ein, um die Kondition seiner Spieler zu prüfen?

Auch Armin Veh überreicht seinem kalifornischen Kollegen in spe keine Pralinen; auf Klinsmanns Training angesprochen gibt er das (nennen wir es) Bruchhagen-Mantra zum Besten: „Die ganze Aufregung habe ich schon damals nicht verstanden. Als ob das Neuheiten gewesen wären! Die Amerikaner mit ihren Bändern, damit habe ich bei Mönchengladbach trainiert. 1978 war das! Und dreißig Jahre später wird das als Weltneuheit verkauft. Das lernst Du in Amerika: Verkaufen.“

Was noch auffällt: Magath, der bisher nicht unbedingt durch böse Töne gegenüber seinem Ex-Arbeitgeber Bayern München aufgefallen ist, lässt, auf seine Entlassung vor einem Jahr angesprochen, ein wenig tiefer blicken als sonst: „Ich wusste, worauf ich mich beim FC Bayern einlasse. Und ich wusste rechtzeitig, wann es zu Ende gehen würde. Wenn Sie im ersten Jahr Meister und Pokalsieger werden, im zweiten mit neun Punkten Vorsprung auf Platz 1 liegen und im Pokal-Halbfinale gegen St. Pauli spielen – wenn Sie trotz der komfortablen Situation ständig kritisiert werden, wissen Sie, was kommen wird.“

Und Veh stellt eine didaktische These auf, die mir als Spielertrainer zu denken geben sollte: „Sie dürfen auf gar keinen Fall mitspielen, niemals! Ich lebe doch vom Beobachten. Wenn ich im Training mitmachen würde, wäre ich nur mit mir selbst beschäftigt. Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich mich beim Üben mit den Spielern fit halte.“

8 Kommentare

  1. Doerk schrieb am 6. Februar 2008:

    Magath hat sich hinsichtlich der Antiquiertheit seiner Trainingsmethoden schon lange als Ignorant und hinsichtlich der Sprachlosigkeit seiner Teamführung als Autist geoutet. Schade, wo er doch soviel vom Fussball versteht.

    Ich persönlich lese aus seinen Äußerungen zu Klinsmann stets nur Neid.

  2. Hattrick2007 schrieb am 7. Februar 2008:

    Ich finde ja folgende Passage im Veh-Interview sehr bezeichnend:

    Auswechslungen werden generell nicht gerne gesehen von den Spielern.

    Sicher nicht, wer will schon gerne früher vom Platz, wenn er sich noch fit fühlt. Das ist ein Problem. Während des Spiels habe ich keine Zeit, dem Spieler zu erklären, warum ich ihn vom Feld genommen habe. Nach dem Spiel eigentlich auch nicht, da muss ich sofort zu den Medien …

    Da sitzt dann ein ausgewechselter Spieler den ganzen Abend zu Hause und denkt: So ein Scheißtrainer!

    Ich kann’s auch nicht ändern.

    Hat noch nie einer bei Ihnen zu Hause angerufen und erbost gefragt: Trainer, warum hast du mich so früh rausgenommen? Warum lachen Sie?

    Die haben ja meine Nummer nicht. Die ist geheim.

    Ich hoffe irgendwie schwer, dass das ironisch gemeint ist. Was für mich nämlich eines der interessantesten themen im Fußball überhaupt ist, ist, wie Trainer mit ihren Spielern kommunizieren. Magath scheint ja auch eher ein großer Schweiger zu sein und hat so Ze Roberto bei den Bayern vertrieben und Podolski verkümmern lassen. Beide erwähnten das mal in Interviews. Das ein Trainer keine Zeit findet, einem Spieler eine Auswechslung zu erklären, fände ich grauenvoll.

  3. franzferdl schrieb am 7. Februar 2008:

    das interview mit veh ist hervorragend, weil seine bayerisch-schwäbische lakonie so wunderbar zum ausdruck kommt. mir fällt es nur schwer, daraus einen „saloppen, bisweilen schroffen Ton“ gegenüber klinsmann herauszulesen. vehs einzige ausssage bezieht sich darauf, dass die ach so neuen trainingsmethoden schon seit geraumer zeit auf der welt sind, & schon ende der 70er in gladbach zur anwendung kamen. und das ist doch eigentlich der sehr interessante punkt: natürlich inszenierten sich klinsmann & co. selbst als reformer (oder gar revoluzzer?) des deutschen fussballs. und zwar im zusammenspiel mit massenmedialen berichterstattungen. ich finde diese passage bei veh wunderbar, weil er einen entscheidenden punkt trifft, den auch magath aufnimmt: fussball ist ein produkt der massenmedien und damit des marketings, wodurch die wahrnehmung von fussball gesteuert wird. selbstverständlich hat veh recht, weshalb seine aussage gar nicht schroff sein kann, ausser man vermutet, dass die artikulation von wahren aussagen schon an sich schroff ist. veh formuliert letztlich implizit eine medienkritische pointe: it’s the marketing, stupid. das, was uns als neu verkauft werden kann, geschieht mit marketingstechnologischen mitteln! und das ist selbstverständlich eine amerikanische mythen-konstante: siehe nur die sportinszenierungen zum super-bowl, o.ä.
    im grossen und ganzen halte ich deshalb folgenden veh-satz für zentral und relfexionswürdig: „Es kommt nicht nur auf die Wahrheit an, auch auf die Wahrnehmung.“
    wunderbar! denn hiermit trifft er letztlich einen wunden punkt, den er leider implizit lässt, weil er sich nicht traut, die konsequenz zu explizieren: wer, wenn nicht massenmediale berichterstattungen (sportjournalisten, radioreporter, tv-ansager, online-redakteure, etc., als individuelle adressen eines funktionssystems) programmieren die wahrnehmung des modernen fussballspiels, bzw. des modernen sports allgemein. somit lässt sich an dieser stellt der grosse bogen zu einem anderen, sehr interessanten thema schlagen, das auf diesen seiten endlich mal erwähnung findet. so wie die sportmedien selbstverständlich ein teil des systems doping sind,
    weil sie ein ideologisches koordinatensystem produzieren, das die einteilung in „winners“ und „loosers“ erlaubt (à la: grosse blamage: team oder spieler xy belegen nur rang 3), und tagtäglich das phantasma reproduzieren, dass in unerer konkurrenzgesellschaft nur der erste platz an der sonne zählt, sind sie ganz allgemein nicht nur teil, sondern gar treibende kraft der unterhaltungsindustrie fussball. diese these ist entscheidend: massenmedien programmieren durch flächendeckende berichterstattungen die art und weise, wie wir fussball sehen, wie wir fussballresultate einordnen, wie wir die hauptdarsteller in „gut“, „böse“ und „mittelmässig“ einteilen und erlauben durch vielfache vereinfachungen jedem stammtischheinz eine aufgeheizte meinung zu einer x-beliebigen nichtigkeit!
    sowohl veh als auch magath ist damit in ihrer medienkritischen intuition uneingeschränkt recht zu geben!

  4. Totalneutral schrieb am 9. Februar 2008:

    Die Mythenbildung eines Felix Magath ist einfach nur unerträglich. Einfach sich selbst niemals in Frage stellen und stets dümmlich autistisch gegenüber jedem – Spieler wie Journalisten- auftreten. Wenn man die spielerische Degeneration in seiner Trainerzeit bei Bayern betrachtet, erübrigt sich eigentlich jedes Wort.

    Um seine Überzeugungen und Einstellungen zum Fußball zu charakterisieren, reichen zwei Zitate:
    1.“Als Trainer (bei Bayern) kann ich die Spieler nicht mehr in ihrer Spielweise verändern.“
    2.“Taktik ist nur etwas für schlechte Spieler.“

    Jegliches Handeln und jegliche Äußerung lassen sich über diese beiden Kommentare scheren. Wahrscheinlich hat Klinsmann genau gewusst, warum er Magathsche Kritik im Vorfeld der WM lächelnd ignorierte. Für Magath hat sich der Fußball seit Zebec und Happel nicht mehr verändert und er versucht stets eine glaubwürdige Kopie der beiden zu verkörpern. Armer Geist!

    @franzferdl
    Ihre Argumentation bezüglich medialer Steuerung und Wahrnehmung sind bestimmt richtig. Nur sind sie leider nicht besonders neu. Auch abseits der Sportberichterstattung konstruiert sich unser Wirklichkeitsbild zu überschlagenen 80% aus medialer Darstellung. Die Dinge, über die aus der Welt berichtet wird, empfinden wir nunmal als Teil unseres Lebens, obwohl sie damit in der Regel nichts zu tun haben. Insofern können wir natürlich keine eigene Wahrnehmung entwickeln.

    @alle
    Armin Veh ist bestimmt ein intelligenter Mensch und Trainer, der mir jedoch zu sehr an Schwermut zu leiden scheint. Seine und auch die Äußerungen anderer Trainer zu Klinsmann sind doch vollkommen verständlich und menschlich. Niemand läßt sich in seinem Beruf gerne von einem Ungelernten und scheinbar Dahergelaufenen erzählen, wie man erfolgreich sein soll. Eingefahrene Prozesse und Wahrnehmungen innerhalb der Liga wurden von Klinsmann kritisiert und in Frage gestellt. Langsam scheinen immer mehr aufzuwachen. Die Dinge, die Trainer bei Klinsmann kritisieren, treffen auch überhaupt nicht den Kern der Sache. Denn es sind die Kleinigkeiten und einfachen Dinge, die der Liga und ihren Verantwortlichen im Laufe der Jahre abhanden gekommen sind. Natürlich kann man argumentieren, dass einige Trainingsmethoden nicht neu waren. Warum hat man sie dann 30 Jahre im Schrank gelassen? Warum hat man aufgehört die Kleinigeiten, das kleine Einmaleins täglich akribisch zu üben? Weil die Einstellung nicht gestimmt hat. Die Einstellung zum Beruf und zur Öffentlichkeit. Gerade Spieler waren sich zu fein, die Grundlagen ihres Sports täglich mit Begeisterung zu wiederholen. Die Trainer waren zu bequem es ihren Spielern täglich abzuverlangen, sich über Passen und Stoppen zu verbessern und Sicherheit in ihr Spiel zu bekommen. Wer im Training mal zugesehen hat, wie schwer sich Profis – es handelt sich hierbei um Menschen, die professionell einen Beruf betreiben – dabei tun um Hütchen zu dribbeln oder eine gute Flanke vors Tor zu schlagen, der versteht die Welt nicht mehr. Das Niveau, das hierbei offenbart wird, ist erschreckend. Klinsmann ist es zu verdanken, dass die Leistung von Spielern und Trainern wieder in Frage gestellt wurde. Und dabei vor allem das Engagement bei der täglichen Arbeit. Er hat mit seinem Auftreten eigentlich eine Kampagne für härtere Arbeit gestartet. Das war alles. Und daran hat es gefehlt. Seit seiner Zeit ist es doch erst üblich geworden, dass Nationalspieler auch mal Extratraining machen. Ein Witz, dass man so etwas einfordern muss. Ich erinnere mich an ein Interview mit Ronaldinho. In diesem sagte er, dass er nach dem Training noch circa 2-3 Stunden am Tag mit dem Ball spielt und arbeitet. Was kann man daraus lernen? Dass man mit Talent allein niemals zur Weltspitze zählen wird. Ich weiß nicht, ob Uli Stileicke ein guter Trainer ist. Ich weiß nur, dass er als Ribbeck-Co-Trainer von den Spielern auch deswegen nicht geliebt wurde, weil er in den ersten Trainingseiheiten von ihnen verlangte, Bälle zu passen und zu stoppen. Die Nationalspieler hatten damit aber teilweise ihre Schwierigkeiten. Man stelle sich einen Pianisten vor, der nicht täglich am Klavier übt. Oder einen Tennis-Spieler, der aufhört Vorhand und Rückhand täglich zu üben mit dem Hinweis, er sei ja schließlich Profi und könne das bereits.

    Klinsmann ist es zu verdanken, dass man Profis heute nicht mit dieser Faulpelz-Einstellung durchkommen lässt. Und seine Kenntnis internationaler Verhältnisse im Fußball hat ihm deutlich gemacht, dass man in Deutschland gewisse Grundlagen wieder forciert betreiben muss. In der englischen Liga machen die Spieler auch nichts anderes als passen, stoppen, freilaufen – nur auf viel höherem Niveau, weil man es dort auch bis zum Erbrechen in schnellem Tempo übt.
    Das ist doch das Schöne am Fußball. Seine Grundzutaten werden auf ewig gleich bleiben – passen, stoppen, freilaufen, Flanke, Schuss, Doppelpass, Dribbling. Wer das am besten und schnellsten beherrscht gewinnt.

  5. franzferdl schrieb am 10. Februar 2008:

    lieber herr oder frau totalneutral
    das ist ja schön, dass Sie meine perspektive goutieren, nur schliessen Sie leider nahezu keinen schluss daraus. sicher, dass individuelle wahrnehmungsleistungen von informationen „zweiter hand“ abhängen, ist soziologisch, anthropologisch oder medienwissenschaftlich ein alter hut. dennoch ist und bleibt diese perspektive äusserst brisant – nicht, um sich damit in sicherheit zu wiegen, & jegliche kritik unreflektiert abzuweisen, weil es ja schliesslich nicht anders möglich sei, sondern um sich immer wieder aufs neue mit der funktionsweise des unterhaltungssystems sport bzw. fussball auseinderzusetzen. massenmedien sind dann nämlich nicht die angeblich objektiven beobachter eines populären spiels namens fussball, sondern eben dessen konstitutiver bestandteil. fragen Sie mal einen reporter, ob er oder sie das selbstkritisch auch so einschätzt. diese perspektive besitzt also unablässige aktualität und brisanz. man sollte sich also „weiter, weiter, immer weiter“ fragen, auf welche aktuelle art und weise massenmedien, funktionäre, politiker, ökonomen usw. „fussball“ konstruieren, mit welchen rhetoriken, ideologien etc.? diese unablässige medienkritische arbeit kann dann zumindest dazu beitragen, nicht alle rhetorischen absonderungen für bare münze zu nehmen, sondern noch so etwas wie einen souveränen beobachterstandpunkt einzunehmen, der zumindest die eigene, massenmedial gefütterte wahrnehmung noch kritisch irritieren kann. insofern treffen Sie mit Ihrer „wie soll es auch anders sein“-rhetotik leider nicht den springenden punkt.
    an Ihren ausführungen lässt sich das dann insofern nachvollziehen, als Sie letztlich ein klischee an das nächste montieren. welch antiquierte klischeevorstellung: der faule fussballspieler, der nun endlich einen tritt in den hintern erhält,ist an der rückständigkeit des deutschen fussballs schuld. und bekommt nun endlich durch klinsmann harte arbeit vermittelt. Sie gehen mit dieser charakterisierung lustigerweise mit dem alten magath d’accord, der alle bis zum kotzen laufen liess. anstatt allerdings solch individualisierende klischeegründe geltend zu machen, sollte man eher einen systematischen blick auf den deutschen fussball richten, der auch die funktion klinsmanns besser in den blick bekommt. Sie nennen ja auch einige grundlegende dinge. das wichtige war allerdings: zum ersten mal sprach ein verantwortlicher dfb-nationaltrainer von einer modernen spielausrichtung, von offensivem, gleichzeitig flexiblem fussball, der sich nicht mehr in typisch deutsche, geradezu „völkische“ klischees flüchtete (z.b. der dumme, pawlowsche fangesang, wenn es mal nicht läuft: „wir wollen euch kämpfen sehen“; oder trainer, die behaupten „der“ deutsche finde nur durch kampf ins spiel), sondern fussballSPIELEN für grundsätzlich erlernbar, d.h. trainierbar hält. das grösste klinsmann-verdienst, in zusammenarbeit mit dfb-präse zwanziger, ist, dass er den alten muff unter den dfb-talaren bzw. trikots endlich lüftete. dass er dafür auftrat, als sei er ein amerikanischer unternehensberater, eben: mcklinsey – nun ja, das sollte man m.e. zumindest kritisieren, ändert aber dennoch nix an der tatsache, dass er wirkung zum besseren zeigte.
    noch eine kleine abschliessende anmerkung: die ständige wiederholung einfachster übungen findet in england (wie in italien & spanien) weitgehend unter ausschluss der öffentlichkeit statt, so dass die spieler nicht damit beschäftigt sein müssen, kreischenden teenies ihre gelfrisur vorzuführen – sie können sich konzentriert ihrer arbeit widmen. insofern sollte man rangnicks denkanstössen gehör verschaffen, der vor kurzem in der faz(?) oder irgendwo anders forderte, dass bundesligisten endlich grösstenteils unter ausschluss der öffentlichkeit trainieren sollten. wen interessiert auch das training – entscheidend ist am samstag (oder mittwoch oder sonntag oder) aufm platz!

  6. Totalneutral schrieb am 11. Februar 2008:

    Lieber franzferdl,
    Ihre medienkritischen und dekonstruktivistischen Ausführungen in allen Ehren. Ich verstehe auch, wo Sie die Krux des Systems Fußball inklusive seiner medialen und umfassenden Konstruktion sehen. Dennoch kann ich es Ihnen nicht gleichtun. Wenn Sie an diesem Punkt eine große Brisanz sehen, dann sage ich Ihnen: es ist unerheblich, ob sie das System in seinem Wirkprinzip entschlüsseln und die Komponenten inklusive ihrer Intensionen benennen. Denn wie wollen Sie den von Ihnen als so wichtig beschworenen kritischen und objektiven Standpunkt einnehmen, wenn Sie doch darauf angewiesen sind, auf der Berichterstattung anderer Ihr Bild aufzubauen? Letztlich bleibt Ihnen damit nicht mehr übrig, als die Bilder und Meinungen, die Ihnen ins Haus geliefert werden zu relativieren, anzuzweifeln und mit Ihrem mit Sicherheit gesunden Menschenverstand zu überprüfen. Sie sind damit schließlich selbst ein Konstrukteur einer „zweifelhaften“ Sichtweise.
    Natürlich sind Medien Akteure, so wie alle anderen in diesem System auch. Niemand kann sich auf den reinen Beobachterstatus zurückziehen. Ich verstehe also nicht, wie Sie dieses Phänomen befriedigend auflösen, ändern oder sonstwas wollen. Ich lasse mich jedoch gerne von Ihrer Sichtweise überzeugen, wenn Sie da einen konkreten Vorschlag haben.

    Zu Ihrem Vorwurf, ich würde nur ein Klischee ans andere reihen: wenn Sie meine Ausführungen aufmerksam gelesen haben, und davon gehe ich aus, dann muss Ihnen gleich zu Beginn aufgefallen sein, dass ich mit der Trainingslehre à la Magath rein gar nichts am Hut habe. Es wundert mich also, dass Sie mir eine solche Sichtweise in den Mund legen. Selbstverständlich habe ich bewusst vereinfachend das Wirkprinzip Klinsmann geschildert. Das nennt man dann im Übrigen Polemik. Mir ist nicht entgangen, dass Klinsmann mit seinen offensiven spieltaktischen Überlegungen geradezu revolutionäres in die deutsche Nationalmannschaft transportiert hat. Hier pflegte man zu lange den Querpass, reagierende, zögerliche Spielweise. Im Kern seines Masterplans stand und steht jedoch wahrscheinlich zukünftig auch beim FC Bayern die Individualisierung. Sprich: jeder Spieler soll sich in seinen Fähigkeiten kontinuierlich verbessern. Dies ist doch quasi der hermeneutische Zirkel fast jeder Mannschaftssportart. Wahrscheinlich erinnern Sie sich daran, dass jedem Spieler ein Handbuch nebst DVD zukam, in dem ihm eigene Stärken und Schwächen vorgeführt wurden. Der Aufschrei der Club-Trainer halt doch heute noch nach, wenn Jogi Löw fordert, die Spieler sollten über das Mannschaftstraining hinaus ihre Fähigkeiten mit Zusatzschichten verbessern. Trainer wie Slomka betonen stets, dass sie dafür keine Notwendigkeit sehen und bei der Trainingsbelastung auch keine Zeit dafür sei. Hierbei geht es doch gerade nicht darum zu laufen bis man Kotzen muss, wie es einem Magath vorschwebt. Sondern es geht um technische Verbesserungen, körperliche Stärkung für mehr Beweglichkeit etc.
    Interessant finde ich, dass Sie zum Abschluss Ihres Kommentars letztlich doch verstanden haben, worum es mir geht. Die ständige Verbesserung des Spielers. Diese sollte, da bin ich der Meinung von Ralf Rangnick, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Erlauben Sie mir einen netten Verweis auf Klinsmanns Spielerzeit bei Bayern. Durch sein Bestreben wurde das Abschlusstraining vor den Spielen erst unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten. Eine Tatsache, die sich bis heute bei Bayern gehalten hat. Immerhin vermochte es Hitzfeld nun durchzusetzen, dass die vorletzte Einheit nun auch unter diesen Bedingungen stattfindet.
    Der AC Mailand ist hier durchaus ein Vorbild. Einmal pro Woche dürfen die Journalisten aufs Gelände um mit dem Trainer eine Pressekonferenz abzuhalten. Spieler werden fast gar nicht interviewt. In England dürfen verletzte Spieler gar keine Interviews geben.
    Um in Ihrer Diktion zu bleiben, dürften hier doch dann der nächste hochbrisante Knackpunkt liegen. Wenn niemand beim Training dabei sein darf, es keine Interviews von Spielern gibt – woher beziehen wir dann überhaupt Informationen, außer aus Pressemitteilungen der Vereine? Damit wäre der Zuschauer doch der totalen Konstruktion scheinbarer Wirklichkeit ausgeliefert. Der FC Bayern denkt gerade darüber nach, seine Medienpolitik dorthin gehend zu verändern. Es stellt sich die Frage, ob einem dann nicht doch die Berichterstattung, wie wir sie jetzt haben, lieber ist. Immerhin bleibt so die Grundlage für eine Meinungsbildung breiter. Davon abgesehen ist die Spekulationsfülle und -breite der Presse gerade in jenen Ländern besonders hoch, in denen man den Journalisten den Zugang zu den Spielern und zum Training verwehrt. Die italienischen Zeitungen berichten doch in so epischer Breite – vielmehr als in Deutschland – auf so schmaler Fakten-Grundlage, dass sie teilweise ganze Interviews erfinden, um auf den medialen Busch zu klopfen. Einfach mal eine Meldung raushauen, um zu sehen wie die Clubs sie dementieren. Beim Gedanken an italienische Verhältnisse müssten Ihnen doch graue Haare wachsen.
    Im Übrigen: ich weiß nicht, wie oft Sie das Training von Profimannschaften besuchen-ich stelle dabei jedoch stets mit Kopfschütteln fest, dass viele Profis es schlicht nicht vermögen, einfache Flanken vors Tor zu schlagen. Bauen Sie darauf mal eine gute Taktik auf!

  7. franzferdl schrieb am 11. Februar 2008:

    lieber totalneutral
    epistemologisch liegen Sie natürlich richtig: auch meine medienkritische sichtweise kann nur eine mögliche unter vielen anderen beobachtungen sein, mithin eine konstruktionsleistung. ich darf noch einmal einen satz von mir zitieren, der mitnichten einen objektiven standpunkt reklamiert: „diese unablässige medienkritische arbeit kann dann zumindest dazu beitragen, nicht alle rhetorischen absonderungen für bare münze zu nehmen, sondern noch so etwas wie einen souveränen beobachterstandpunkt einzunehmen, der zumindest die eigene, massenmedial gefütterte wahrnehmung noch kritisch irritieren kann.“
    also dort steht: „so etwas wie“. das ist allerhöchstens eine rhetorische annäherung, ein schüchterner vergleichsversuch, der aber nicht davon ausgeht, dass es so etwas wie (sic!) einen objektiven standpunkt gibt. ganz gradualistisch würde ich sagen: es gibt objektivere bzw. souveränere standpunkte, die man sich durch die einübung in eine, z.b., soziologische, dekonstruktivistische (sehr richtig bezeichnet!), von mir aus auch philosophische sichtweise aneignen kann. solche perspektiverungen funktionieren dann natürlich auf einer anderen ebene als massenmediale direktbetrachtungen, sind aber gleichwohl von ebensolchen abhängig, weil sie eben versuchen, beobachtungen zu beobachtungen. in guter alter systemtheoretischer diktion handelt es sich also um eine beobachtung zweiter ordnung, während sie sich immer noch für eine beobachtung erster ordnung stark machen. aus so einer perspektive – wie gesagt: ebenso konstruierten, weil von allerlei anderen medien, aber eben nicht nur massenmedien, sondern z.b. auch theoretischen oder sozialwissenschaftlichen texten abhängige – ist es dann auch relativ wurscht, ob es zu „italienischen“ verhältnissen kommt – entscheidend ist, dass (!) eine umstellung stattfindet, die das verhältnis medienberichterstattung-fussballspielen problematisiert. zumindest den leistungen auf dem fussballplatz ist solch eine umstellung wohl nicht abträglich!
    und, ich bitte Sie, Sie wollen doch nicht im ernst ein hohelied auf DIE deutsche fussballberichterstattung singen (was immer das sein soll)? in england, z.b., gibt es trotz hermetisch abgerieglter trainingsareale immer noch seriösen sportjournalismus, der darüber hinaus noch viel amüsanter und satirischer ist, dabei aber den fussballfan nicht per se als taktischen volldeppen behandelt. vgl. the guardian. „italienische“ verhältnisse haben wir im übrigen schon längst hier: man nennt sie hier „bild“-zeitung. beim gedanken an dieses schmierblatt wachsen mir allerdings nicht graue haare, sondern mir wird ziemlich kotzübel, wodurch ich dann zumindest erahnen kann, wie man sich nach einer trainingseinheit bei magath fühlt…
    apropos training: ich weiss nicht, wieso Sie darauf beharren, trainings zu beobachten, um zu sehen, dass 9 von 10 flanken im nächsten teich landen. das kann man doch jede woche live im tv sehen! und sicherlich, Sie haben ja recht: da gilt es zu üben und zu üben und zu üben. allerdings ist auch das keine „neue“ erkenntnis, die mit mcklinsey in das brachliegende deutsche fussballland hineingepilgert wurde. aus gesellschafts- oder medienkritischer perspektive würde ich jetzt sagen: das passt ideologisch, weil eine solche individualisierung im einklang mit anderen aktivierungs- und motivierungsversuchen steht, die man sozialpolitisch „hartz iv“ oder „ich-ag“ nennt. auf fussballstrategischer ebene (beobachtung 1. ordnung!) sage ich: wenns hilft, dann ists wunderbar, falls wir dadurch taktisch, technisch, leidenschaftlich besseren fussball sehen. Ihr slomka-beispiel passt m.e. allerdings nicht hier rein, weil slomka viel mehr ein klinsmann-im-geiste ist als viele andere. er ist jung, sicherlich auch innovationswillig, besitzt eine eindeutige fussballideologie (schnelles umschalten, vertikales spiel in die spitze, schnelle aussen, etc.) und greift auch gerne mal in die sportpsychologische trickkiste (siehe dieses dominanz-geschwafel letzte saison). ich weiss nur nicht, ob sie bei schalke auch schon mal schweizer qualitätsuhren zusammengebastelt haben, um den „WIR SIND EIN TEAM“-gedanken zu stärken…

  8. Totalneutral schrieb am 11. Februar 2008:

    Lieber franzferdl,
    ich gebe zu: ich war da etwas unsauber in meiner Argumentation. Ich habe Ihr „so etwas wie“ unter den Tisch fallen lassen. Ich wollte Sie ein bisschen locken. Natürlich schließe ich mich Ihrer Sichtweise großteils an. Sie kamen mir nur sehr idealistisch in Ihren Schlüssen vor. Eine Diskussion kann auch nur mit einer Gegenrede in Gang kommen. Ich teile Ihr Anliegen für eine andere Art der Berichterstattung ebenso wie eine andere Art der Selbstdarstellung nahezu aller Berichtsobjekte und Protagonisten. Aber um Gottes Willen unterstellen Sie mir kein Hohelied auf den deutschen Sport-Journalismus. Ihren Würgreflex bei der Springer-Presse kann ich gut nachvollziehen. Leider tummeln sich auch in den Schreibstuben sogenannter Qualitätszeitungen zu viele Ungelernte, Pauschalisten (im übertragenen Wortsinn) und Polemiker. Zu wenig Recherche, zu wenig Ãœberlegung und vor allem auch zu wenig Formulierung trifft man in deren Berichterstattung. Die Sprachlichkeit und textlinguistische Dimension des Sportjournalismus macht es leider auch allzu leicht möglich, sich in Worthülsen auszudrücken und die Dinge so wunderbar zu simplifizieren. Die Sprache bestimmt die Wahrnehmung und ist damit die Grenze der Welt. Sofern wir weiterhin in dieser Form über die Jahre konditioniert und sozialisiert werden, bleiben Ausnahmen die Regel.

    Achja, der Slomka-Vergleich war unglücklich. Er ist in jedem Fall so etwas wie ein Klinsmann im Geiste. Andere Vertreter der Trainerzunft hätten da mit Sicherheit besser gepasst.

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