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Oliver Fritsch Karneval in der Westkurve

von Oliver Fritsch

Warum berichten alle Journalisten eigentlich immer von der Pressetribüne aus, wo sich doch Atmosphäre und Dramaturgie eines Fußballspiels auch sehr gut aus der Fan-Kurve einfangen lassen? Ich war am letzten Freitag in Frankfurt beim Spiel gegen Arminia Bielefeld (2:1). Ich stand am Rande der Westkurve, also dort, wo tausende Eintracht-Fans bei jedem Heimspiel Fahnen schwenken, „Bengalos“ zünden und Lieder singen. An- und Abreise übrigens mit öffentlichen Verkehrsmitteln, was in Frankfurt schon mal bedeuten kann, dass man erst anderthalb Stunden nach Abpfiff vom Fleck kommt.

Wirklich beeindruckend, der „Support“ der Eintracht-Fans! Erstens die Lautstärke und zweitens die zweistündige Ausdauer, mit denen die Hessen die „Eintracht vom Main“, „schwarz (!) und weiß wie Schnee“, immer siegen, den „U-Uefa-Cup“ holen und „Deutscher Meister“ werden lassen, Schmähungen auf die Gäste anstimmen und ihren „Maddin“, den neuen tschechischen Torjäger Fenin, hochleben lassen. Auch wenn selbst einheimische Stammgäste die Chöre nicht immer Wort für Wort entschlüsseln („isch versteh die manschma so gut wie unsern Schinees uff de Awweit“) – es war wie immer eine richtige Gaudi-Stimmung unter den mehr als 40.000 Besuchern, und das bei einem Freitagsspiel im Februar gegen eine unglamouröse Mannschaft ohne Stars.

Doch die Fans nahmen nicht immer unmittelbar Bezug auf das Spielgeschehen. Schon in der ersten Halbzeit wollten alle „hüpfen, hüpfen, hüpfen!“ (was sie auch taten), während ihr Team eine brenzlige Situation vor dem eigenen Tor zu überstehen hatte. Auch die vielen Eckbälle der, zugegeben, an und für sich harmlosen Gegner waren für die Eintrachtler kein Grund zum Luftanhalten. Und dass sich das zunächst einseitige Spiel bei einer 2:0-Führung ab Mitte der zweiten Halbzeit wendete, haben die Fans verschlafen, besser: „versungen“. Während sie sich in einem minutenlangen Dialog mit ihren Brüdern aus der Ostkurve verloren, wurden die Bielefelder Spieler stürmischer und näherten sich hier und da dem Eintracht-Keeper Nikolov. Das Anschlusstor fiel mitten hinein in ein lang gezogenes „Eiiiintracht Frankfurt“; in dieser Phase wäre der Elf der Gastgeber jedoch mehr geholfen gewesen, wenn die Fans die gewonnen Zweikämpfe ihres Abwehrspielers Spycher oder die siegreichen Kopfballduelle von Kyrgiakos und dem vorzüglichen Chris bejubelt hätten – also die Defensivqualitäten honoriert. Fans, zugehört! Ihr wollt doch immer, dass Euch ein Einfluss auf das Spiel zugeschrieben wird. Dieses Gegentor könntet Ihr durch Eure undifferenzierte Unterstützung mitverschuldet haben!


Wer nicht hüpft, ist Offenbacher – oder Bielefelder

Der vielgereiste Publizist Christoph Biermann hat einmal den Zuschauern des FC Liverpool seine höchste Anerkennung gezollt, weil sie das Spiel keine Sekunde aus den Augen ließen; Biermann legt andere Maßstäbe als Lautstärke an: „Die Zweiundvierzigtausend reagieren sofort und auf die gleiche Weise, so dass oft ein seltsamer Laut zwischen Seufzen und Stöhnen aus einem Mund zu kommen scheint. Solch kollektive Konzentration und Kennerschaft ist beeindruckender als es jeder noch so hohe Lärmpegel hätte sein können und sagt mehr über die Bedeutung, die Fußball in diesem Stadion zugebilligt wird als jedes noch so inbrünstige Intonieren der Vereinshymne.“ Biermann nennt das Liverpooler „das beste Publikum der Welt“.

In Frankfurt hingegen werden die Fans von ein paar „Ultra“-Jungs mit Megaphonen dirigiert, die mit dem Rücken zum Feld stehen. Für sie ist nicht das Spiel das wichtigste beim Stadionbesuch, sondern das befriedigende Machtgefühl, eine fünfstellige Zahl von Menschen zu befehligen. Also recht verstanden: Es gibt keine richtige und es gibt keine falsche Art, ein Fußballspiel zu schauen, keine gute und keine unrechte. Meinetwegen können Fans, wie es so schön heißt, sich selbst feiern (sagt man solches Verhalten nicht auch, etwas despektierlich, dem Publikum in Afrika nach?).

Aber ich kenne auch noch das Frankfurter Haupttribünenpublikum aus den 90ern, die den Samtpfotenfußball des Spielmacher-Genies Uwe Bein mit zartem Applaus und Zungeschnalzen goutierten. Diese Form der Aneignung eines Fußballspiels kam mir kundiger, expertenhafter und echter vor. Die der Westkurve der Gegenwart hat was von Karneval.

#12 meiner Kolumne auf stern.de

27 Kommentare

  1. Detlev Claussen schrieb am 14. Februar 2008:

    Kann das auch nur aus eigenen Waldstadionbesuchen bezeugen; durch die neue „Arenaatmosphhäre“ wird das auch noch begünstigt. Gegen die autoritäre Dauerbeschallung von oben ist der Fangesang zum Komplementärlärm geworden, der nahezu gleichbleibend spielunabhängig erzeugt wird. Der Gegner wird auch meist nur undifferenziert schon bei Ballbesitz ausgepfiffen.Die kundigen multikulturellen Haupttribünengespräche sind nicht mehr möglich, da man sein eigenes Wort nicht mehr versteht.Die Hauptschuld liegt meines Erachtens beim vorstrukturierten Lautsprecherlärm; über die Audioanlage wird auch eine unsägliche Eintrachthymne vor dem Spiel angestimmt, eine Schreckenslyrik des Postfaschismus, die tatsächlich karaokeartig nach eingeblendeten Untertiteln von einem Großteil von Familienvätern und Fanblock mitgesungen wird

  2. svenio schrieb am 15. Februar 2008:

    Meint ihr tatsächlich das expertenhafte, fachkundige Haupttribünenpublikum, das schon nach dem zweiten Fehlpass den Trainer rauswerfen will (Uwe Bein spielt leider schon lange nicht mehr)? Die multikulturellen Haupttribünengespräche, die eigentlich immer nur das negative der Mannschaft, des Trainers und vor allem des Spiels zum Thema hatten und haben? Meine Beobachtung ist, dass die Fans in der Kurve schon im „alten“ Waldstadion begonnen hatten, ihr Team bedingungslos zu unterstützen und nicht schon nach wenigen missglückten Aktionen anfingen zu pfeifen, wie es Jahrzehnte in Frankfurt üblich war. Es entstand ein ganz spezielle Verbindung zwischen Spielern und Fans, die maßgeblich mit zum Aufschwung des Vereins beitrug. In der Arena setzte sich das fort und die Stimmung ist prima. Es läuft einem regelmäßig eine Gänsehaut über den Rücken, wenn „Im Herzen von Europa“ ertönt und alle Schals und Fahnen in die Luft gehalten und geschwenkt werden. DAS ist Stadionfeeling pur, deshalb gehe ich dort hin. Gespräche kann ich auch zu Hause führen oder in der Kneipe. Aber – zur Not gibt es noch die Allianz Arena, da soll es ja eher ruhig zugehen, habe ich gehört, auf der letzten Jahreshauptversammlung der Bayern…

  3. Oliver Fritsch schrieb am 15. Februar 2008:

    Man hält mich für einen Bayern-Fan. Süß. Ich habs geschafft!

    Dass die Eintracht viele tolle, laute, treue Fans hat, ist unbestritten. Doch warum braucht Ihr diese Wichtigtuer mit den Megaphonen?

  4. masporn schrieb am 15. Februar 2008:

    Und schon wieder so ein neidischer Bayern-Fan, der meint, er müsste über die Eintracht lästern, weil wir ihnen mit Fenin auf zehn Jahre – mindestens – die Meisterschaft wegschnappen?!
    Achtung: War nur ein Witz.
    Tatsächlich war das Frankfurter Publikum schon immer das stimmungsvollste in Deutschland, im alten Waldstadion hat es nur keiner gemerkt. Dass die Mehrzahl der Fußballfans in Deutschland zum Stimmungsmachen, zum Sich-Groß-Fühlen ins Stadion geht und nicht zum Fußballschauen, ist allerdings keine neue Erkenntnis. Es gab doch im indirekten freistoss dazu vor kurzem auch einen richtig guten Artikel (aus der FAZ? Der Süddeutschen?) – in dem übrigens die Eintracht-Fans von einem Reporter aus Newcastle als die besten Europas gefeiert wurden!
    Mit Recht versteht sich. Uwe Bein lebt! Forever! Grüße, MS

  5. mordsbumms schrieb am 15. Februar 2008:

    mich nerven die faschistoiden brüllaffen mit megaphon auch. deshalb aber das schickeria-publikum der 90er als das nonplusultra des intelligenten fantums zu stilisieren käme mir nicht in den sinn…
    aber vielleicht muss man dazu erst VFB-FAN werden! 🙂

  6. Micha schrieb am 15. Februar 2008:

    Ich kenne jetzt die Stimmung in Frankfurt nicht, aber der monotone Dauersingsang nervt überall. Wenn sich der „Support“ komplett vom Spielgeschehen abkoppelt wird er zum Selbstzweck. Ehrlicher wäre da dann wirklich mit Gotthilf Fischer zu singen.
    Die Geißelung von Leuten, die einfach mal still sind, weil das Spielgeschehen nicht zum fröhlichen Dauersingen einlädt finde ich fürchterlich. Nach einer glanzlosen Niederlage will ich einfach nicht mehr singen und Fahnen schwenken. Irgendwie ist das auch Ausdruck der Gleichgültigkeit dem eigenen Team gegenüber.

  7. lebieH schrieb am 15. Februar 2008:

    wow !

    Mutiger Aktionsjournalismus. Da hat sich ja mal einer richtig weit in die Höhle des Löwen vorgewagt… So stelle ich mir eine gelungene Berichterstattung vor. Undercover am Rande der Kurve stehend, ein Phänomen betrachten, das man nicht versteht, noch viel weniger aber hinterfragt. Anstatt sich mit den Megaphon Diktatoren auseinanderzusetzen, sie vielleicht sogar selbst zu Wort kommen zu lassen, wird eine interessante These ausgearbeitet. Tore fallen nicht etwa aus mangelndem Defensiv Verhalten oder (wie im Falle Bielefeld) aus Abseitssituation heraus, sondern weil die Fans zu lautstark und zu sehr vom Spielgeschehen unabhängig ihren Verein unterstützen… Aha !

    Und was sagt uns das im Zeitalter der „postfaschistoiden Stadionbeschallung“ ? Blaue Pille für den Schwanz, goldene Kugel für den Kopf !

  8. Öri schrieb am 15. Februar 2008:

    Mein lieber Detlev Clausen – das wird zwar von einem Polizeichor gesungen, aber „Schreckenslyrik des Postfaschismus“?
    Am besten wieder aufs Spielfeld konzentrieren!
    Michael

    Damit sich ein/e jede/r einen eigenen Eindruck über die Schreckenslyrik aus dem Postfaschismus machen kann:

    „Im Herzen von Europa“
    (K.Westphal/H. Böcher)

    Im Herzen von Europa liegt mein Frankfurt am Main
    Die Bundesliga gibt sich hier gar oft ein Stell-Dich-ein
    Hier gibt es eine Eintracht, die spielt Fußball ganz famos
    Man kennt sie nicht nur am Mainestrand – nein auf der ganzen Welt
    Und wenn sie gewinnt im Waldstadion, dann ist die Stimmung groß

    Eintracht vom Main, nur du sollst heute siegen!
    Eintracht vom Main, weil wir dich alle lieben!
    Schieß noch ein Tor, dem Gegner in den Kasten rein!
    Jeder wird sagen, ohne zu fragen in dieser schönen Stadt am Main
    Eintracht aus Frankfurt, du schaffst es wieder, Deutscher Meister zu sein!

    Der Eine liebt sein Mädchen, und der andre liebt den Sport
    Wir schwören auf die Eintracht auch mit unserm Ehrenwort
    Führt sie der Weg mal fort von hier in andre Stadien rein
    Wir sind in Gedanken immer bei Dir, nie wird es anders sein
    Begleiten wird sie unser Chor, drum stimmen alle ein

    Eintracht vom Main, nur du sollst heute siegen!
    Eintracht vom Main, weil wir dich alle lieben!
    Schieß noch ein Tor, dem Gegner in den Kasten rein!
    Jeder wird sagen, ohne zu fragen in dieser schönen Stadt am Main
    Eintracht aus Frankfurt, du schaffst es wieder, Deutscher Meister zu sein!

  9. Tom schrieb am 15. Februar 2008:

    Sehr niveauvolle Beiträge. Hier noch ein Lied-Vorschlag von mir: „Rot und Weiß sind die Farben der Natur, Rot und Weiß ist unsere Spielergarnitur.“
    Melodie, Farben und Stadien sind beliebig austauschbar!
    Bengalos und Choreos als Lebensinhalt. Auch schön!

  10. U. haase schrieb am 16. Februar 2008:

    Verehrter Herr Claussen. Sie liegen daneben . Und zwar ziemlich. Kann ja jedem mal passieren.

    Aber bevor sie die Eintracht Hymne als “ unsägliche Schreckenslyrik des Postfaschismus“ titulieren sollten sie sich doch besser kundig machen.
    Sie fand den Weg ins Stadion als die von ihnen so verehrten Hauptribünenbesucher nicht mehr da waren. Fußball in der 2. Liga war ihnen zu profan.

    Und das kam so.

    Rigobert_G / 10.05.06 23:05
    Angeregt durch eine Bemerkung von junkdeluxe („In den 90ern, als der Erfolg da war, habe ich z.B. gar nichts von der Existenz des guten Liedgutes vom Polizeichor Frankfurt mitbekommen“) im nachfolgend verlinkten Thread: http://www.eintracht.de/forum/list.php?thread=10914146, habe ich mir gedacht, dass es doch eine willkommene Gelegenheit für eine kleine Sommerpausen-Serie im Forum sein könnte.

    Eintracht Frankfurt ist deutlich mehr, als Du-Ri Cha, Ioannis Amanatidis oder Heribert Bruchhagen. Eintracht Frankfurt lebt, das hat nicht nur Berlin vor zwei Wochen bewiesen, gerade oder insbesondere durch die Fanszene. Vieles rund um die Eintracht, was heute als selbstverständlich erscheint, hat oft ihre ursprüngliche Wurzel innerhalb der Eintrachtfans. Doch über die Jahre hinweg wachsen viele Generationen nach, die sich dessen überhaupt nicht bewusst sind bzw. sein können, wie ein Ritual, eine Fan-Bewegung oder der ein oder andere Schlachtruf entstanden ist. Mittlerweile gibt es ja auch schon einige junge Fans, die nicht mal mehr das alte Waldstadion kennen gelernt haben.

    Vielleicht findet sich ja der ein oder andere Schreiber in den nächsten Wochen, der uns über die Sommerpause mit Geschichten und Wissenswertes rund um die Eintracht und Ihre Fans beglückt. Ich mache heute mal den Anfang.

    Die älteren Fans unter uns, für die die Eintracht seit jeher erstklassig und auf ewig unabsteigbar war, können sich natürlich noch daran erinnern, wie geschockt wir alle 1996 nach dem ersten Abstieg in der bis dahin 97 jährigen Vereinsgeschichte waren. Ein Schock, den ich übrigens bis heute noch nicht so richtig verdaut habe.

    Damals hießen auf einmal die Gegner nicht mehr SSC Neapel, Juventus Turin, Bayern München oder Hamburger SV, sondern Lübeck, Meppen, Gütersloh, Zwickau oder Oldenburg. Das galt es erst mal zu verkraften. Gegner, die man zuvor allenfalls in der ersten Pokalrunde wahrnahm, gehörten nun zum Standard-Programm. Eine Liga, die Sonntags in der Glotze von der Bedeutung irgendwo zwischen DTM, Heike Drechsler Portrait und Springreiten eingeordnet war, sollte nun die neue Heimat sein. Eine Heimat, die bis dahin mit dem FSV Frankfurt oder den ungeliebten Nachbarn von der anderen Mainseite besetzt war, auch wenn diese Vereine zu jenem Zeitpunkt längst in der Oberliga Hessen angesiedelt waren. Hinzu kam, dass an Spieltagen ein Menze oder Pejovic mit dem Ball ähnlich unbeholfen über den Platz stolperten, wie sich in etwa ein Maulwurf beim Tontauben-Wettschießen anstellen dürfte. Und das geschah alles in einem Eintracht-Trikot, in dem wenige Jahre zuvor noch ein Grabowski, Hölzenbein, Detari, Bein, Yeboah oder Okocha die hohe Frankfurter Fußballkunst zelebrierten, die uns doch so wohltuend von dem einfach gestrickten Kratz- und Beißfußball im Stile von Lautern oder Oxxenbach unterschied. Vorbei.

    Für einen normalen Eintrachtfan, mit einem Mindestanspruch für Ästhetik, war das damals natürlich kaum noch erträglich. Die gesamte Fanszene hatte daher nur noch zwei Wahlmöglichkeiten. Entweder man verfiel in einen kollektiven dauerhaften Dämmerzustand, oder versuchte irgendwas anderes – was neues auszuprobieren. Es wurde was neues ausprobiert, indem Aktivitäten geboren wurden, die über das Spielfeld und den jeweiligen Spieltag hinaus gingen. Im Stadion stieg die Stimmung. Man war eh quasi unter sich. Der Erfolgs- und Gelegenheitszuschauer blieb der zweiten Liga fern. Es war die Geburtsstunde von Pyros (unvergessen die Heimspiele gegen Essen oder Mainz, als die komplette Gegentribüne eingenebelt wurde), Ultra-Gedanken und Martin Stein auf der Zwischenmauer der Gegentribüne, der versuchte dem chaotischen Haufen, der sich da vor ihm versammelte, den Takt vorzugeben.

    Außerhalb des Stadions bekam das Bewusstsein für Tradition und deren Pflege einen immer wichtigeren Stellenwert. Die Zeiten, in denen man sich, ohne zu murren, orange-, grün-weiße oder gelb-blaue Trikots gefallen ließ, schienen vorbei zu sein. Selbst der rot-weiße Traditionsadler aus den 60er Jahren feierte in der Szene, nicht zuletzt durch Rainer Kaufmanns Fanhouse, eine Renaissance. Um so mehr die Eintracht in der Tabelle der 2. Liga abrutschte, um so mehr erinnerte man sich den alten, den so viel besseren Zeiten.

    Der Star war nun nicht mehr der Spieler. Diesen gab es eh kaum noch in der zweiten Liga. Zum Star mutierte der Verein und dessen Historie. Eine Historie, die als mentale Basis für eine hoffnungsvolle Zukunft herhalten musste. Die damalige Mannschaft wie auch die wirtschaftliche Situation konnte das nicht leisten. Aber die Vergangenheit bewies uns, dass wir zu höherem berufen sind. Die gesamte Saison zusammenreduziert auf die erste Runde des Pokalwettbewerbs. Denn wir fühlten uns als Erstligist. Wir legten nur eine Pause ein. Und da diese schier endlos erschien, wurde auf den Rängen eine (für Deutschland) ganz neue Form des „Anfeuerns“ entwickelt und abseits des Stadions der Staub von den Remington-Trikots und Grabowski-Autogrammkarte aus Papis Dachboden-Kiste gepustet.

    Es passte in diese Zeit der gleichzeitig stattfindenden Neu- und Altorientierung innerhalb der Fanszene, als Jens G. (dem dieser Beitrag hier gewidmet ist – im Forum mit dem Nick StefanNossek leider nur ein stiller Mitleser *wink einmal* ) eines Tages mit einer Eintracht Langspielplatte aus den siebziger Jahren unter dem Arm zu mir kam. Keine Ahnung mehr was der genaue Grund dafür war, aber ich legte sie gleich bei mir auf und überspielte sie per Soundkarte auf meinen Rechner und brannte sie auf CD.

    Ehrensache, dass diese CD wenig später auf den damals noch eher selten stattfindenden, aber daher zu den absoluten Höhepunkten gehörenden Geiselgangster/Analsextour-Auswärtsfahrten gespielt und besungen werden musste. Ob Liesel Christ, Walter v. Mende, die Endspiel-Reportage 1959 oder eben der Polizeichor. Das alles ließ Niederlagen in Uerdingen, Gütersloh oder Jena etwas leichter verkraften. Eintracht-Oldies als Droge gegen den tristen sportlichen Alltag.

    Irgendwann, mittlerweile löste der junge André Rothe den Zwischendurch-Stadionsprecher Joachim Böttcher ab, überkam mir die Idee, dass diese CD, zumindest aber ausgewählte Stücke, wie z.B. „Im Wald, da spielt die Eintracht“, „Schönes Franfurt am Main“ oder „Im Herzen von Europa“ im Waldstadion gespielt werden sollte. Ich drückte die CD André Rothe in die Hand, mit der Aufforderung, dort reinzuhören und im Stadion abzuspielen. Ein Heimspiel später wirkte der gute André nicht wirklich begeistert von meinen Musikwünschen. Er konnte nicht verstehen, wie mir so „alte Kamellen“ gefallen könnten. Ich sagte ihm einfach, dass das Eintracht-Geschichte und auf jeden Fall kultiger ist, als der ganze Peter Maffay und sonstige Blödsinn, der seit Jahren als sogenannte Eintracht-Hymne verkauft wird. Er solle die CD einfach mal im Stadion spielen. André spielte Im Herzen von Europa, ohne dass er dabei sonderlich glücklich wirkte. Auch im Stadion nahm das kaum jemand zur Kenntnis. Die, die es zur Kenntnis nahmen, waren entweder verzückt, weil sie es aus dem Geiselgangster-Bus kannten, oder ähnlich entsetzt wie unser Stadionsprecher.

    André Rothe spielte den Polizeichor trotzdem öfters ab, ohne dass dieser auch nur annähernd den Stellenwert einnahm, den er heute hat. Als neue Hymne entpuppte sich damals Tore Netzmachers Eintrachtsong „Wenn die Sonne scheint“. Der Polizeichor spielte, wenn er denn überhaupt gespielt wurde, eine Randnotiz.

    Ich weiß es jetzt nicht mehr genau wie es weiterging, aber ich glaube, nachdem der HR zwischenzeitlich kein Medienpartner mehr war, übernahm Radio FFH das Rahmenprogramm im Stadion. Tore Netzmacher, eine Produktion von HR-Mitarbeitern, spielte da keine sonderlich große Rolle mehr. Außerdem erkannten die FFH Leute das Kultpotential von „Im Herzen von Europa“(im Internet zog das Stück schließlich auf fast allen Fanpages seine Kreise, auf Auswärtsspielen ertönte es immer öfters im Eintracht-Block) und blendeten sogar den Liedtext zum Mitsingen auf die Videotafel.

    Wie dem auch sei, hätte mir damals einer ins Ohr geflüstert, als ich mit der CD vor André Rothe wild herumfuchtelte, dass knappe neun Jahre später bei einem Pokalendspiel in Berlin rund 30.000 Frankfurter durchdrehen, während der Polizeichor gespielt wird, wäre ich wahrscheinlich gemeinsam mit Zampe nackt durchs Waldstadion geflitzt.

    So, und hier ist das Original-Stück von Jens Platte (mit allen dazugehörigen Knacksern), wie es im Geiselgängster-Bus lief und erstmals (!) 1997 im Frankfurter Waldstadion abgespielt wurde:

    http://eintrachtfans.de/download/HERZEN.MP3

    Lieber Jens, ich hoffe Du liest diesen Beitrag und denkst am Samstag gegen Gladbach daran, wenn Im Herzen gespielt wird, dass Du mit Deiner Platte alles angestoßen hast. Eigentlich gehört uns dafür ein Denkmal gebaut. Aber zumindest ich gebe mich auch mit der UEFA-Cup-Teilnahme zufrieden.

    Eintracht, Eintracht über alles

    Seite A
    Eintracht wird Meister (Bundesliga Fanchor)
    Nachtgebet für die Frankfurter Eintracht (Fred Metzler)
    Schönes Frankfurt am Main (Polizeichor Frankfurt)
    Endspiel-Reportage 1959 (Herbert Zimmermann)
    Wie kann nur e Mensch net für die Eintracht sei (Liesel Christ/Benny Maro und die Frankfurter Schrammeln)
    Stadion-Nostalgisches (Walter v. Mende)
    Im Wald, da spielt die Eintracht (Benny Maro und die Frankfurter Schrammeln)

    Seite B
    Bitte noch ein Tor (Bundesliga Fanchor)
    Fan-Club „Schwarzer Geier“ (Walter v. Mende)
    Bundesliga-Polka (Bundesliga-Blasmusiker)
    Liebe Eintracht-Fans (Liesel Christ)
    Im Herzen von Europa (Polizeichor Frankfurt)
    (1977)

    (Ein großes Dazke an Frank: http://www.eintracht-archiv.de)

    Andy Klünder für die Initiatve „Rettet das Forum“

    Nachzulesen hier.

    http://www.eintracht.de/meine_eintracht/forum/1/10919332/

    Nix für ungut und Gruß aus FFM der Hauptstadt der postfaschistischen Schreckenslyrik

  11. theonebq schrieb am 16. Februar 2008:

    Ich wollte mal eben die Eingangsfrage beantworten, die mir in der ganzen Aufregung um die pikierten Frankfurter Jungs ein wenig untergegangen zu sein scheint.

    Sportberichterstatter sitzen deshalb auf der Pressetribüne, weil sie dort nicht nur die Möglichkeit haben, sich gegenseitig auszutauschen, sondern auch, weil man da oben mehr Übersicht hat und zudem (soweit ich weiß überall) Fernseher haben, um knappe Entscheidungen sofort noch einmal in Zeitlupe sehen zu können.

    Der Blick aus der Fankurve sollte „uns“ trotzdem nicht unbekannt sein. Aber die Berichterstattung von dort zu fordern und diese Forderung noch mit der Anmerkung zu garnieren, dass man dann ja Privilegien aufgeben müsse, finde ich vermessen.

  12. Kategorie Fan schrieb am 17. Februar 2008:

    Hallo Herr Fritsch? Immerhin lassen sie dann doch mal die Maske fallen und fragen nach den „Wichtigtuern mit den Megaphonen“. Was ist denn mit all den anderen Wichtigtuern? Wer braucht die Wichtigtuer mit ihren Tastaturen im Pressebereich? Wer braucht all die Wichtigtuer in den VIP-Bereichen? Wer braucht die Wichtigtuer, die den Fußball für ihre Zwecke mißbrauchen? Dass sich Fankultur wandelt, ist nun mal ein Fakt – ob es ihnen oder sonstwem gefällt. Wären sie in den 90er Jahren jemals bei der Eintracht gewesen, hätten sie nie behauptet, dass es dort ein gutes Publikum gegeben hätte. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Nur um die Verherrlichung einer längst vergangenen Zeit, einer Zeit, in der der Fan noch wichtig war und nicht dieses kleine Beiwerk, über das Journalisten gerne mal schreiben – ohne das sie davon Ahnung haben. Folklore oder Sicherheitsrisiko, ganz wie es beliebt, der Leser versteht das ja sonst nicht.

  13. Oliver Fritsch schrieb am 17. Februar 2008:

    Ãœblicherweise lautet die Klage, Sie sagen es: Wenn Fans in den Medien vorkommen, dann als Schläger oder als Folklore. Machts mal man anders, ists auch nicht wieder recht. Oder ist das einzige, was man schreiben darf: „Ihr seid die größten, tollsten schönsten!“? Warum denn so sensibel?

    Und ich bitte mal um eine Aussage zur Essenz meines Textes: dass die Fans ihr Verhalten nicht nach dem Spielgeschehen gerichtet haben? Das ist nun mal nicht zu leugnen, dass sie verpasst haben, dass sich ein Tor anbahnt (auch wenn es abseits war, auch wenn Abwehrspieler es hätten verhindern können).

  14. svenio schrieb am 17. Februar 2008:

    Aber wie soll man sich das denn vorstellen? Immer dann, wenn der Gegner in Ballbesitz kommt, die Fangesänge einstellen? Dann würde die mittler Länge eines Schlachtrufes bei der Geschwindigkeit des heutigen Spiels die 5 Sekunden Marke nicht überschreiten. Fraglich ist außerdem, ob man das dann nicht auch falsch auslegen könnte. „Immer wenn es eng wird für die Eintracht, bleiben die Fans ruhig anstatt gerade dann ihr Team anzufeuern“… Ich denke, dass es ein schwieriges Unterfangen ist, sein Team stimmungsvoll und -gewaltig zu unterstützen und auch der jeweiligen Spielsituation gerecht zu werden. Vielleicht gelingt dies nicht immer ideal und evtl. ist das Liverpooler Publikum (und ich bin der Meinung, dass allein der Verglich mit den Fans dort schon eine Auszeichnung darstellt) hier wirklich dem Geschehen auf dem Rasen gegenüber sensibler. Trotzdem ist der Support im Stadion im Frankfurter Stadtwald hervorragend. Ich gebe jedoch zu, dass ich einigermaßen überrascht war, als der Mann am Megaphon zwischen zwei Fangesängen Mitte der zweiten Hälfte kurz inne hielt und der Fanschar zurief: „seht ihr das, wir spielen mit drei Stürmern!!!“. Er hatte es tatsächlich mitbekommen…

  15. Oliver Fritsch schrieb am 17. Februar 2008:

    Ich finde den Support der Eintracht-Fans beeindruckend und habe das nie bestritten. Dennoch denke ich, dass er „überorganisiert“ ist und auf diesem Weg (nahezu neunzig Minuten animierter Gesang) die Spontaneität verloren geht.

    Aber wie gesagt: Jeder so wie er mag. Wer Eintritt zahlt, kann singen, tanzen, hüpfen. Oder maulen, meckern, pfeifen. Und so wie kein Zwang zum Support besteht, so besteht auch kein Zwang, mit dem Spiel mitzugehen.

  16. Detlev Claussen schrieb am 17. Februar 2008:

    Oliver Fritsch hat in seinem Kommentar einen Unmut artikuliert, der auch in mir an manches gerührt hat, was mich in der „Arena“ stört und auch schon länger gestört hat. Die Abkoppelung des supportens vom Spielgeschehen (heißt das „bedingungslose Unterstützung“?)ist eine nicht nur in Frankkfurt zu beobachtende Tendenz; aber andere machen es auch anders. Als England gegen Paraguay während der WM in Frankfurt spielte (ein fußballerisch grausam schlechtes Spiel), war ich doch tief beeindruckt von der englischen Stimmungsmache (gegen Weltmusik aus Stadionlautsprechern und einer geradezu totalitären FIFA-Beschallung). Es herrschte eine gute Atmosphäre vor, während und nach dem Spiel (trotz abundanten Alkoholkonsums und ziemlich male-chauvinistischen Begleiterscheinungen, die nicht zu übersehen waren), die einen über einen total enttäuschenden Auftritt der Kicker hinwegtröstete.Angenehm überrascht.

    Svenio erinnert zurecht an die Frankfurter Geschichte, trifft sich auch mit meiner Erinnerung, wird auch durch den langen Beitrag von u. haase noch untermalt und mit ordentlich geschichtlichem Material aufgefüllt.
    Sie weisen mich zurecht auf Verkürzungen hin…und es ist gut zu wissen, wie sich neue Traditionen begründen, wenn sie nicht gar erfunden werden.

    In der Tat, der Abstieg 1996 bedeutet einen Bruch in der Geschichte der Frankfurter Eintracht und danach ist eine neue Fankultur hochgekommen. Ich bin noch in der alten Zeit sozialisiert worden. Als ich 1966 von Bremen nach Frankfurt kam, hat mich die lebendige Stadionatmosphäre in Frankfurt begeistert. Eine südlich anmutende Fankultur, die nicht nur die Stehtribünen betraf, auf denen ich drei Jahrzehnte gestanden habe: Wichtig war nicht nur das Gewinnen, wichtiger noch war das gute Spiel. Man konnte auch verlieren, Hauptsache, es war ein gutes Spiel.Man hatte ja den Eintrachtmythos vom Europapokal 1959 im Gepäck. Die Eintracht wurde zwar nie mehr deutscher Meister wie vor der Bundesliga, aber man spielte (mit) den schönsten Fußball in Deutschland. Es wurde nicht nach dem zweiten Fehlpass gepfiffen, aber nach dem dritten schon. Der Anspruch des gesamten Publikums war hoch; dafür wurde auch manches verziehen (Abwehrfehler,gescheitertes riskantes Offensivspiel) Die „Diva vom Main“ war über Generationen ein Ehrenname, die es schaffte, die sicher geglaubte Meisterschaft bei der schon abgestiegenen Hansa Rostock 1992 noch zu vergeigen. Aus dieser Zeit rühren auch meine ersten Haupttribünenerfahrungen her, die anders waren, als ich sie erwartete. Neben den üblichen bekloppten Honoratioren (eben auch Wichtigtuer)und Lokalprominenz kamen da ganz andere Leute hin; echte Fußballkenner, vor allem aus dem Süden und Südosten Europas, die einen schön gespielten Ball höher bewerteten als mustergültige Effektivität bei der Torverhinderung. Die Mannschaft, die 1958/59 ganz Europa begeisterte, war ein Mythos, der noch in den Tricksereien eines Okocha und den Pässen eines Uwe Bein weiterlebte.Von den rauschartigen triumphalen Siegen über die Bayern, auf die man seit grabowskis Tagen jedes Jahr hoffen konnte, rede ich gar nicht.Ich verstehe, wenn man auf eine solche Traditon stolz ist…im Fanblock wie auf der Haupttribüne. Diese Tradition gibt es nicht mehr… beide Strukturen haben sich in der „Arena“ verändert.

    Mit der Zweiten Liga kam etwas anderes, das ja durchaus anschaulich von u. haase geschildert wird, was die Veränderung der Fankultur anbetrifft. Ich gebe Svenio recht, dass das schon im alten Waldstadion geschah. Ich weiss auch anzuerkennen, dass die Treue der Fans in der 2. Liga der Eintracht geholfen hat, diese schwierige Phase zu überstehen. Aber ich bin nicht sicher, ob dieser Ehrmanntrautfußball die absolute Vorbedingung war, um wiederaufzusteigen…..Finke in Freiburg, Rangnick in Hannover haben es anders gemacht. Ein neuer Zweikampf- Fußball wurde nach dem Abstieg „bedingungslos“ von diesen treuen Fans goutiert; habe ich auch recht gehört, dass auch das anspruchslose „Wir wollen Euch kämpfen sehen!“ damals Einzug hielt? Jedenfalls war das alles da, als die Eintracht wiederaufgestiegen war und manche Zuschauer wiederkamen, die den Ehrmanntrautfußball nicht mochten…

    Nun zur Hymne. Danke, dass ich jetzt über die Karriere dieses Songs aufgeklärt wurde. Sicher ist es witzig, wenn man schon viele Scharmützel mit der Polizei sich geliefert hat, mit einem Polizeichor gemeinsam zu singen. Aber von nachfolgenden Generationen wird inzwischen diese Hymne ironielos ernst genommen; sie glauben, sie müßten diesen lyrischen Blödsinn mitintonieren, um dazuzugehören. Öri hat dankenswerterweise noch einmal den ganzen Text uns zukommen lassen. Jeder kann sich nun selbst ein Urteil bilden; musikalisch ist das Ganze noch grausamer. Die unheilige Allianz von Marsch- und Volksmusk. Ich bleibe bei „postfaschistisch“: der politische Charakter der Nazi-Volksgemeinschaft mit seinen antisemitischen, fremdenfeindlichen und rassistischen Speerspitzen ist geschliffen zu einer idyllischen sexualkonformistischen („der eine liebt sein Mädel, der andre liebt den Sport“), inhaltsleeren lokalchauvinistischen Selbstbeweihräucherung. Dadurch werden dann Leerstellen frei für zusätzliche Sprechchöre wie „Alle Offenbacherinnen sind Huren“, die spielunabhängig auch über Megaphon nicht nur im Pokalkampf gegen den OFC erklangen.Auch habe ich noch aus den schwierigen Jahren nach dem zweiten Abstieg den Schlachtruf „Wir sind Frankfurter Jungs und ihr nicht!“ im Ohr.Weder Fahrudin Jusufi noch Bruno Pezzey noch Anthony Yeboah waren Frankfurter Jungs, aber sie haben Millionen Menschen für die Eintracht begeistert.Aus diesem Grund bin ich auch Heribert Bruchhagen dankbar, dass er die finanziellen Grundlagen
    gelegt hat, um wieder mehr Spielkultur in Frankfurt möglich zu machen.Die zwischenzeitliche Deutschtümelei passte eher wieder zur Polizeichorhymne.
    Ich würde mich sehr gerne wieder ganz auf das Spielfeld konzentrieren.Mit meinen neuen Nachbarn kann ich ja nicht reden wegen des Lärms; aber manchmal lächelt man sich zu, bei souveränem Stellungsspiel oder einer schlitzohrigen Chanceneröffnung. Es gibt auch andere, die beim ersten versprungenen Ball eine Auswechslung fordern und es enttäuschend finden, das Kaka nicht zur Eintracht wechselt. Doch diese Wichtigtuer nimmt nun wirklich niemand ernst außer sie sich selbst, während vom Fansupport doch mehr abhängt, als die meisten Leute glauben.Da gebe ich Oliver Fritsch in seiner Frankfurter Fankritik recht.

  17. Kategorie Fan schrieb am 17. Februar 2008:

    Dann haben Sie meine Essenz auch nicht verstanden, Herr Fritsch. Alles rund um diesen Fußball ist nur noch sich selbst wichtig nehmend, alles vom Geschehen rund um den Ball, rund um das eigentliche Spiel, losgelöst. Warum soll diese Entwicklung an den Fanszenen vorbeigehen? Wer interessiert sich denn noch wirklich für das Spiel an sich? Die Reporter, die Trainer Veh gestern fragen, ob er immer noch mit seinem Hund spazieren geht? Die Sponsoren, deren Hauptaugenmerk ist, dass sie im guten Licht darstehen? Die Besucher der Logen, die ihren Gästen etwas bieten wollten, um Geschäfte zu machen? Die „Vereine“ deren einziges Ziel Gewinnmaximierung ist und die nach Investoren brüllen? Die Spieler, die Vereine wechseln, wie andere Menschen ihre Unterhosen? Warum soll ich mir als Fan nicht sagen dürfen: „Ok, das ist heute so, aber warum soll ich dann so tun, als ob mir diese Mannschaft da unten noch etwas bedeutet? Als ob mir dieser Haufen Mist, der der Rest meines Vereins ist, noch etwas mehr bedeutet, als die Erinnerung an längst vergangenes (dafür ist der Polizeichor ja auch ein gutes Beispiel)? Ich gehe heute nicht mehr wegen der Spieler, nicht mehr wegen des Vereins zum Fußball, sondern weil ich mit meinen Freunden schon immer hingegangen bin und mit ihnen unterwegs sein will. Das drücken wir in Liedern aus und das bestimmt unser Lebensgefühl.

  18. Oliver Fritsch schrieb am 18. Februar 2008:

    Ihren Verdruss verstehe ich und teile ihn – zumindest in Teilen und aus anderer Perspektive. Das was Sie sagen, ist, sollte es repräsentativ sein, brisant, würde es doch dem widersprechen, was man allgemein unter Fan-Sein versteht. Daher meine Frage: Sind Sie bereit zu einem Telefonat, das ich dann (irgendwo, zumindest an dieser Stelle) veröffentlichen würde?

  19. Kategorie Fan schrieb am 18. Februar 2008:

    Nein, tut mir leid, das möchte ich nicht.

    Ich glaube auch nicht, dass es dem „Fan-sein“ widerspricht, das ändert sich halt. Ich wette, dass es fast allen Fans heute so geht, dass sie vor allem aus Gewohnheit und wegen des Zusammenseins mit den Freunden ins Stadion gehen. Der Fußball an sich, die modernen Stadien, die Eintrittspreise und -beschränkungen sind ja inzwischen nur noch Dinge, die einem das ins Stadion gehen eher verleiden. Im Grunde machen wir uns doch nur noch etwas vor, wenn wir behaupten, wir gehen aus Liebe noch zu unserem Verein. Welchen Verein denn? Den Verein, der einen Investor haben will und seine eigenen Mitglieder damit quasi loswerden möchte, bzw. deren Mitsprachemöglichkeit? Vielleicht ist das etwas überspitzt, vielleicht auch ein Zeichen meiner Resignation – wenn ich mich aber in meinem Freundeskreis umhöre und mir andere Leute bei anderen Vereinen ansehe, sieht es fast überall ähnlich aus.

  20. newtown schrieb am 18. Februar 2008:

    Ich gehe nicht aus Gewohnheit ins Stadion und das Zusammensein mit Freunden steht auch nicht im Vordergrund – irgendwie steht immer noch der Fußball im Mittelpunkt.

    Und ich möchte die Position von Herrn Fritsch unterstützen. In meinem Umfeld wird schon seit geraumer Zeit darauf hingewiesen, dass „die Ultras“ die Kurve kaputt machen. Ob das so ist, weiß ich nicht, aber mir geht das immer gleiche Dauergesinge jedenfalls ziemlich häufig auf die Nerven.

  21. svenio schrieb am 18. Februar 2008:

    Wenn man sich als „Fan“ bezeichnet, dann sollte man sich für den Verein oder zumindest für den Sport an sich begeistern. Falls das jedoch wegfällt, dann ist die Bezeichnung wohl falsch gewählt. Dann ist man halt Stadionbesucher, des Events wegen, so wie bspw. ein Großteil der Leute, die zu den Frankfurt Galaxy Spielen gegangen sind. Da kannten 90 Prozent der Besucher die Spielregeln nicht und fanden das trotzdem alles ganz toll. Wegen der Stimmung. Meins ist das nicht. Ich gehe ins Stadion, um mit meinem Verein mitzufiebern, um meine Emotionen rauszulassen und um gemeinsam mit Gleichgesinnten meinen Verein anzufeuern. Seit 1982, durch dick und dünn. Mir ist das egal, ob Spieler wechseln, ob das Stadion umbenannt wird oder ob die Namensrechte einem Finanzinvestor gehören. So ist die Zeit, ich kann das nicht ändern oder aufhalten. Mein Herz hängt nicht an Klose, Streit, Frings oder sonst wem, so wie es schon früher nicht an Bein, Häßler oder Rudi Völler hing. Die Jungs haben nämlich auch alle mehr als einmal den Verein gewechselt. Mein Herz gehört dem Verein und vielleicht noch ein kleines bisschen Charly Körbel…

  22. Kategorie Fan schrieb am 18. Februar 2008:

    Eigentlich habe ich nicht viel anderes geschrieben, zugegeben deutlich polemischer und überspitzter. Allerdings glaube ich, dass wir uns etwas vormachen, was unsere geradezu anachronistisch anmutende Liebe zu diesem Gebilde „Verein“ angeht. Wie weit geht das ganze? Wenn der Verein Alumi Frankfurt und einem stinkreichen Inder gehört, gehen wir dann immer noch hin? Sind wir dann nicht auch Eventfans, die da noch hingehen, weil da gerade Erstligafußball gespielt wird? Aber gehst du nicht auch hin, weil du mit deinen Freunden zusammen bist? Oder gehst du alleine zum Fußball, denkst an Charlie Körbel und freust dich des Lebens? Man ist nicht automatisch ein Fan dieses Modereignisses Football, wenn man sich dem, was sich heute Fußball nennt, kritisch distanzierter verhält und das einfach nicht mehr lieben kann und will.

  23. neunundfuenfzig schrieb am 18. Februar 2008:

    Werter Herr Fritsch, weder der einzelne Block (also einer von Nr.35 bis Nr. 43 ganz grob gesagt), geschweige denn die Westkurve, ist eine homogene Masse!
    Über die Motive, die den einzelnen Stadionbesucher dazu bringen zu hüpfen, zu singen, zu brüllen, zu pfeifen, zu klatschen, zu schimpfen, sich sinnlos zu betrinken oder zuzukiffen oder einfach nur blöd rum zu stehen oder zu sitzen, sagen Ihre Ausführungen gerade mal gar nichts!
    Sie würden es auch kaum allein durch ihre oben beschriebene Inaugenscheinnahme verstehen.
    Das positivste was man über ihren dümmlich-arroganten Beitrag sagen kann ist, daß Sie gerade mal EINEN Phänotyp der Gattung Eintracht-Fan beschrieben haben.

    Auch von mir postfaschistoide Grüße

  24. Oliver Fritsch schrieb am 19. Februar 2008:

    Ach Gottchen, wir sind alle Individuen, ich weiß. Warum denn gleich in die Luft gehen? Warum denn so übersensibel? Worin liegt denn die Schärfe meines Vorwurfs? Worin überhaupt der Vorwurf?

    Und außerdem: Wollen Sie etwa bestreiten, dass Tausende Fans gemeinsam gesungen haben? Von Motiven war doch gar nicht die Rede. Mir geht es nicht um eine differenzierte Fan-Soziologie. Wie soll man die in eine kleine Kolumne packen? Es geht doch gar nicht anders, als das Verhalten der dominanten Fans zu schildern. Und: Sie haben unrecht, ich habe noch nicht mal EINEN Phänotyp beschrieben.

    Ohnehin scheint mir anhand mancher Reaktionen an dieser Stelle: Am besten ist es, die Fans gar nicht erst zu erwähnen. Irgendeiner schreit immer: Aber ich bin ganz anders, Sie Schw…!

  25. binnensider schrieb am 19. Februar 2008:

    Ich kann Oliver Fritsch nur recht geben, wobei sich das Phänomen beileibe nicht nur auf Frankfurt bezieht.
    In Aachen kann man bei jedem Heimspiel beobachten, daß das Publikum 90 Minuten lang singt; völlig losgelöst vom aktuellen Spielgeschehen. Auch hier sind die Männer mit dem Megaphon unterwegs. In Bremen konnte man seit der Hinrunde das Faszinosum beobachten, daß das alberne „Hallo Westkurve -hallo Ostkurve“ minutenlang praktiziert wird -auch wenn es der gegnerischen Mannschaft tatsächlich mal gelingt, sich minutenlang im Bremer Strafraum festzusetzen…

    Ohne allzu kulturpessimistisch klingen zu wollen (und mich auch nicht als alten Sack zu outen), denke ich, daß dieses zum einen sicherlich aus der Eventkultur stammt, die spätestens 2006 mit der WM Einzug in die „Arenen“ gehalten hat. Zum anderen sind es gerade die Männer mit den Megaphonen, die sicherlich von irgendeiner interessierten Seite ausgerüstet wurden.

  26. Oliver Fritsch schrieb am 19. Februar 2008:

    Wer könnte diese interessierte Seite sein, binnensider? Und was meinen Sie mit ausgerüstet?

  27. SIDNEY DE26 **** VIP **** Extravaganza-Escort :: Escort21, 29 aus Oldenburg | Callgirls schrieb am 3. November 2008:

    […] http://www.direkter-freistoss.de » Karneval in der Westkurve […]

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