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Wer verpflichtet eigentlich Schiedsrichter so zu reden wie sie reden? Oder tun sie das freiwillig? „Es kam zu einem Stoß des Spielers Diego gegen den Spieler Kyrgiakos“, sagte Helmut Fleischer am letzten Samstag, seine Sicht zur wichtigsten Szene des Spieltags erläuternd, dem Remake von Zidane und Materazzi in Frankfurt. Geht es gestelzter? Will sich hier jemand, der sich in der Defensive wähnt, mit der Rhetorik, die einem Amtsgericht entlehnt sein könnte, Seriosität verleihen? Dabei war Fleischer doch im Recht – im Gegensatz zu denjenigen, die ihm eine Mitverantwortung an dem Ausraster geben, weil er Diego nicht genug „geschützt“ habe. Als ob er das nötig hätte, als ob er das wollte.

Ich wünschte mir, Schiedsrichter würden souveräner über manchen Dingen stehen, zumal sie aufgrund ihres Alters und ihres Berufs geistig und sittlich reifer sind als viele Spieler. Doch die deutschen Schiris sind oft steif wie Beamte. Und wenn sie sich mal locker geben wollen, wirkt es aufgesetzt. Gibt es etwas Verkrampfteres als das Augenzwinkern Markus Merks?

Andererseits muss man zugestehen, dass Schiedsrichter großem Stress ausgesetzt sind. In letzter Zeit ging die Kritik mancher Vereinsbosse ins Persönliche oder ins Grundsätzliche. Madrids Trainer Bernd Schuster rief nach einem Europapokalspiel Herbert Fandel hinterher, es nicht zu verdienen, sein Landsmann zu sein. Überheblicher geht’s wohl nicht. Juventus Turin, jahrelang Günstling ihrer „Schiedsrichterpolitik“, beschwert sich gerade über angebliche systematische Benachteiligung: „Wir können nicht weiterhin für die Fehler aus der Vergangenheit bezahlen.“ Bayerns Karl-Heinz Rummenigge wurde jüngst auffällig durch folgende Recherche: „Wenn man pro FC Bayern falsch entscheidet, hat man eine Woche lang Medien- und Telefonterror.“ Das nennt man wohl Gegenoffensive; denn von einem Bayern-Malus war bisher nichts bekannt.

Auch ein Schiedsrichter kann sich nicht davon freimachen, was über ihn geschrieben und gesagt wird – und vor allem, wer und wie es schreibt und sagt. Wer kann denn ausschließen, dass Franz Beckenbauer, „der mächtigste Mann dieses Lands“ (SZ), mal einen schlechten Tag erwischt und sich ein Pfeifenmännlein vor der Kamera und auf Seite 1 vorknöpft? Ein paar markante Fehlentscheidungen gegen den FC Bayern können so schon mal einen Karriereknick zur Folge haben. In ihrer Hitzfeld’schen Blütezeit um die Jahrtausendwende waren die Bayern mal ganz groß darin, Schiedsrichter mit Schlagzeilen unter Druck zu setzen.

Wer legt sich schon gerne mit den Mächtigen an? Das gilt übrigens nicht nur für den Profifußball. Ich hab mal vor meiner Haustür ein A-Jugend-Spiel des Schemas David gegen Goliath gesehen. Bei Goliath, einem Oberliga-Verein mit einigen lokalen Bekanntheiten am Spielfeldrand, spielte der Torjäger der Liga, ein 17-Jähriger, für den der Klub einige Euro lockergemacht hatte und der die ganze Palette an Starattitüden im Repertoire hat: Reklamieren, Schwalben, Gockeltum. Der sehr erfahrene Schiedsrichter hatte nicht den Mumm, den Jung-Star zu maßregeln. Jeden Freistoß, den er wollte, bekam er. Auch in der Jugend, auch auf dem Dorf gibt es also Klein und Groß.

Klar gestellt, die deutschen Schiedsrichter sind gut (unterdrücken wir mal den Gedanken daran, dass Hoyzer nicht doch nur eine Ausnahme gewesen sein könnte). Doch ihre Medienarbeit ist miserabel. Als offiziell sprechende Köpfe der Zunft sind in den letzten zehn Jahren nur der grimmige Volker Roth, der besserwisserische Manfred Amerell und der kleingärtnerhafte Eugen Striegel (ehemals „Pfiff des Tages“ im ZDF) dem Fernsehpublikum in Erinnerung geblieben.

Liebe Schiris, Ihr habt’s schwer, verdammt schwer! Mit Spielern, Trainern, Reportern, Zuschauern. Die Frage, warum Ihr Euch diese Maulerei von allen Seiten überhaupt antut, bleibt für jeden, dem eine masochistische Art abgeht, unbeantwortet. Niemandem könnt Ihr’s recht machen. Dennoch, bitte redet mehr mit uns! Und zwar nicht wie mit Untergebenen. Und nicht wie mit Delinquenten. Wir wollen mehr von den Ausnahmen wie Michael Weiner, der neulich nach einem schweren Fehler zu Lasten der Bremer gestand: „Ich trage für diese Entscheidung die Verantwortung und kann mich bei Werder nur entschuldigen.“ Es darf also menscheln, Selbstkritik könntet Ihr uns vorleben! Muss ja nicht gleich so extrem sein, wie bei jenem britischen Schiedsrichter, der sich, nachdem er sich zu einer Ohrfeige an einem Spieler hat hinreißen lassen, sich unmittelbar danach selbst die Rote Karte zeigte. (Versuchen Sie, liebe Leser, das mal zu zweit pantomimisch nachzustellen! Einsendungen bitte per Videobotschaft.)

Warum sollte nicht durch Schiedsrichter eine Prise Humor in diese humorlose Gesellschaft Bundesliga gelangen? Im übrigen stelle ich zunehmend fest, dass man mit den meisten Schiedsrichtern aus der Kreisliga nach dem Spiel gut einen Schoppen trinken kann.

#13 meiner Kolumne auf stern.de

12 Kommentare

  1. Kraelinho schrieb am 29. Februar 2008:

    Muss dem Artikel und seiner Meinung hier auch beipflichten. Schiedsrichter sind bildungsmäßig weitaus besser unterwegs als so mancher Fussballprofi, aber setzen das nicht um und faseln die Sätze, die sie in ihrer Schiedsrichterausbildung vorgestellt bekommen haben. Hier müsste vlt. mal was an den Kommunikationsfähigkeiten der Schiedsrichter gefeilt werden, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass solches Beamtendeutsch in ihren jeweiligen Berufen weiterhilft, geschweige denn sie sind Beamten.

  2. riovermelho schrieb am 29. Februar 2008:

    Warum müssen Schiedsrichter jedes Wochenende mit ihren Fehlentscheidungen den Ausgang mehrerer Spiele beeinflussen? Ich habe schon lange das Gefühl, daß Meisterschaft und Abstieg, Uefa-Cup und BL-Aufstieg zum Teil von den Herren in schwarz entschieden werden.

    Eine gewisse Offenheit im Umgang mit eigenen Fehlern täte sehr gut, siehe momentane Diskussion um ärztliche Kunstfehler.

    Es würde dem Fußball sehr gut tun, den Einfluß der Schiedsrichter auf ein Minimum zu beschränken und möglicht viele Hilfsmittel (optisch und elktronisch) zu verwenden. Der Schirie bräuchte nur noch Foul oder Schwalbe zu entscheiden. Wie schön wäre es nach den Spielen nur noch über das Spiel selbst zu diskutieren und nicht mehr über Abseits.etc….

  3. Linksaussen schrieb am 29. Februar 2008:

    Warum müssen Spieler jedes Wochenende mit ihren Fehlern den Ausgang mehrerer Spiele beeinflussen? Ich habe schon lange das Gefühl, daß Meisterschaft und Abstieg, Uefa-Cup und BL-Aufstieg zum Teil von den Herren in weiß/rot/schwarz/grün/blau/gelb entschieden werden.

    Eine gewisse Offenheit im Umgang mit eigenen vergebenen Torchancen täte sehr gut, siehe momentane Diskussion um schiedsrichterliche Kunstfehler.

  4. Linksaussen schrieb am 29. Februar 2008:

    ja, altes argument, aber wenns nunmal stimmt: würden schiedsrichter so viele fehler produzieren wie spieler, dann, und erst dann, könnte man anfangen, sich über sie aufzuregen.
    (das gilt natürlich nicht, falls sie gegen meinen verein einen völlig unverdienten elfmeter verhängen)

  5. Easyfunk [welt-hertha-linke] schrieb am 1. März 2008:

    Die Sprache der Schiedsrichter ist eng an die notwendigen Darstellungskompetenzen gebunden, die einen guten Schiedsrichter von einem schlechten oder mittelmäßigen unterscheiden. Dabei muss er durchaus paradoxe Anforderungen erfüllen. Z. B. muss er quasi wie ein Richter sachlich korrekt, neutral und verbindlich sein, wenn er urteilt und dabei muss er aber eine mit Lockerheit gepaarte Souveränität darstellen, die zeigt, dass ihn die Szenerie nicht überfordert. Ich habe das ganze schon mal im Rahmen eines soziologisches Essays zum Thema „gute“ Schiedsrichter behandelt, wenn jemand Interesse hat…

  6. Martin schrieb am 1. März 2008:

    Lieber Oliver,

    in einem muß ich Dir leider widersprechen: Die deutschen Schiedsrichter sind, entgegen Deiner Annahme, nicht (!) gut, weit gefehlt!! Unsere in der 1. und 2. Liga pfeifende Pfeifenmänner erinnern mich sehr oft an die bedauernswerten Schüler, die im Schulsport bei der Mannschaftszuteilung stets als letzte gewählt wurden: Nett zwar und irgendwie bemitleidenswert, aber leider nicht fußball-praxistauglich.
    Das manifestiert sich auch in den Spielen, von Spieltag zu Spieltag: fast jeder Einsatz, der zum Körperkontakt führt wird hier als Foul gepfiffen; selbst anfängerhafte Schauspieeinlagen der Kicker, die selbst in der Kreisliga zu Gelächter führen, werden als Foul ausgelegt.

    Hauptsache, die Schiedsrichgtergilde verhält sich, deutschen Tugenden entsprechen, unterwürfig DFB-konform (das scheinbar wichtigste Eignungskriterium beim DFB). Fußballsachverstand, begründet auf langjährige aktive Fußballtätigkeit, ist für den DFB anscheinend von sehr geringer Bedeutung.

  7. riovermelho schrieb am 1. März 2008:

    @linksaussen

    lieber linksaussen, im Gegensatz zu Schiedsrichtern ist es die AUFGABE von Spielern Spiele zu entscheiden. Schiris fallen bestenfalls gar nicht auf.

    Der blog hier dreht sich ja auch wohl um die Spielleiter, oder?

  8. Oliver Fritsch schrieb am 1. März 2008:

    @Martin: Was mir zu Deiner Kritik ergänzend einfällt: Entgegen allen Beteuerungen und entgegen der Regel legen Schiedsrichter im Strafraum einen anderen Maßstab an als außerhalb. Was ich damit sagen will: Erstens gibt es für sie demnach zwei Foulzonen (was nicht sein dürfte). Zweitens: Sie pfeifen zu kleinlich.

    Ich kann aber nicht sagen, ob das nur für deutsche Schiedsrichter gilt. Und sie bekommen es von den Bundesligaspielern auch sehr schwer gemacht. Stichwort Schwalben- und Simulantenliga.

  9. riovermelho schrieb am 1. März 2008:

    Stichwort Schwalben- und Simulantenliga:

    Wann wird Schauspielerei endlich bestraft?

    Kleines Foul oder Schubser und dann rollt sich der „geschädigte“ fünf mal um die eigene Achse – dafür möchte ich endlich mal eine gelbe Karte sehen.
    Bei Schwalben, wenn klar zu erkennen, funktionierts ja auch.

  10. Kraelinho schrieb am 1. März 2008:

    Apropos Schwalben: Guckt man sich die englische Liga im Allgemeinen an, dann sieht man das dort Schwalben- und Schauspieler konsequent gehasst werden. Das zeigt sich dann auch im Verhalten der Spieler, die nach Fouls meistens ohne zu merckern wieder auf den Beinen stehen und die nächste Szene einleiten. Explizit betrachten, sollte man sich einmal Michael Ballack, der zu Bundesligazeiten häufig am Boden lag und die Schiedsrichter mit Gesten penetrierte. Nachdem seine Spielweise in England nichts taugte und er als „verweichlicht“ galt, änderte er sein Verhalten, indem er sich auf seine Leistung konzentrierte und weniger mit der der Unparteiischen.

  11. www.direkter-freistoss.de » Hitzfeld zieht Rummenigge die Hosen runter schrieb am 3. März 2008:

    […] » Bravissimo, Cannarozzi!: […] ein weiterer Baustein, umKraelinho: Apropos Schwalben: Guckt man sichriovermelho: Stichwort Schwalben- und Simulantenliga: Wann wirdOliver Fritsch: @Martin: Was mir zu […]

  12. Oliver Fritsch schrieb am 4. März 2008:

    http://www.11freunde.de/bundesligen/109066

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