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„Ganz sicher wird im deutschen Profifußball gedopt.“ Das behauptet Thomas Kistner, renommierter Sportjournalist der Süddeutschen Zeitung in einem Interview mit dem Deutschlandradio. Es ist zwar bereits etwa ein halbes Jahr alt, aber da es ein allgemeines Hintergrundgespräch ohne nennenswerten aktuellen Bezug ist, ist es nach wie vor hörenswert.

[audio:http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2007/06/21/dkultur_200706210908.mp3]

Doping im Fußball – bringt das überhaupt etwas? Otto Rehagels populistische Beschwichtigung kennen wir: „Wer mit links nicht schießen kann, trifft den Ball auch nicht, wenn er 100 Tabletten schluckt.“ Doch Kistner verweist auf die gewachsene Bedeutung der Fitness im Fußball: „Selbst als größtes Talent der Welt kann man in der Weltspitze nicht mithalten, wenn man nicht über die nötige athletische Physis verfügt.“

Sind Spieler Täter oder Opfer? Die Antwort auf diese Frage leitet er süffisant ein: „Im Fußball sind viele schlichte Gemüter unterwegs.“ Die Verantwortung liege bei den Ärzten und Trainern. Kistner stört sich an Felix Magath, der Anabolika-Gebrauch in der Regeneration nach Verletzungen gutheißt, wenn der Spieler damit einverstanden ist.“ Wirklich nicht zu fassen, mit welcher Nonchalance die Branche damit umgeht! Auch Franz Beckenbauer wird die Glaubwürdigkeit in der Doping-Debatte abgesprochen, weil er, noch als aktiver Spieler, über Doping-Praktiken in der Branche munkelte.

Spricht man über Doping, spricht man immer auch über willfährige Journalisten. „Sportmedien sind ein Teil des Systems Doping“, sagt Kistner, „Berufsjubler, Fans, die es über die Absperrung geschafft haben.“ Die Ursachen dafür seien schwer zu bekämpfen. „Es gibt ein großes Bildungs- und Ausbildungsproblem. Viele Sportjournalisten verstehen nichts von medizinischen und ethischen Fragen.“ Wer also für Aufklärung sorgen solle, wenn es bekannt würde, dass im Fußball gedopt wird? „Die braven Fußballreporter und -schreiberlinge“, resümiert und resigniert Kistner, „werden die Leistung nicht bringen können.“

Grundsätzlich ist Kistner natürlich zuzustimmen, man kennt das Problem (nicht nur) aus dem Radsport. Allerdings muss er ohne Belege auskommen. Thesenjournalismus? Sicher, es gibt Indizien, und wir wollen keine naive Konsumenten sein. Aber im deutschen Fußball sind nun mal nicht viele nennenswerte Fälle bekannt. Wir warten weiter auf Recherche, Ergebnisse, Aufklärung. Und hoffen natürlich, dass an den Vorwürfen nichts dran ist.

Addendum: In einem FAZ-Beitrag aus dem letzten Jahr kommt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender zum selben Thema zu Wort: „Brender verstieg sich vor dem Sportausschuss zu der These: ‚Sportberichterstattung hat etwas mit Begeisterung zu tun.“ Er verband dies mit dem Hinweis, man müsse auch mal ein Auge zudrücken, wie etwa bei der WM 2006. ‚Wenn wir gekrittelt hätten bei der Fußball-WM, hätten wir als Miesmacher gegolten‘, sagte er und sprach Peter Danckert [Vorsitzender des Sportausschusses des deutschen Bundestags] direkt an: ‚Sind Sie sich sicher, dass die Fußball-WM nicht durch Beiträge aus der Pharmazie entschieden wurde? Ich bin das nicht. Und trotzdem haben wir uns gefreut.'“ Ja, um Himmels willen! Wieso schlägt diese beifällige Bemerkung keinen Alarm in der Szene – und in den Redaktionen?

8 Kommentare

  1. Easyfunk schrieb am 4. Februar 2008:

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich bin spätestens seit dem benannten Artikel von Kistner in der SZ von diesem Thema fasziniert. Und es ist zeitlos, keine Frage.

    „Aber im deutschen Fußball sind nun mal nicht viele nennenswerte Fälle bekannt.“

    Ja, warum denn nicht? Vielleicht weil es sich um ein System handelt, das nur funktioniert, wenn Verschwiegenheit herrscht? Vielleicht weil viele Substanzen gar nicht nachgewiesen werden können? Also bitte, das ist mir zu naiv.

  2. Oliver Fritsch schrieb am 4. Februar 2008:

    Glauben und Wissen sind nun aber zwei verschiedene Dinge. Und diesen Unterschied sollte man immer kennzeichnen. Es ist uns ja geholfen, wenn das Thema auf die Agenda kommt. Noch mehr wäre uns aber geholfen, wenn zum Thema Doping im Fußball mehr recherchiert würde.

  3. petertrompeter schrieb am 5. Februar 2008:

    Die meisten Spitzensportarten, in denen es viel Geld zu verdienen gibt, ist der Anreiz mit allen legalen und illegalen Mittel an Spitze zu gelangen hoch. Weshalb sollte das gerade im Fußball anders ein?

    Gibt es nicht vielleicht doch Zusammenhänge von Doping und den fast schon zur traurigen Gewohnheit gewordenen Herztod-Tragödien auf den Fußballfeldern (Foe, Puerta, Fehér…)? Solche Vorfälle erinnern ein wenig an die Radsportler, welche den „plötzlichen Herztod“ (Salanson, Pantani, Galletti) erlitten haben.

    Denken wir ein paar Jahre zurück nach Italien, wo die Aufklärungswut im heiß verehrten Calcio sicher nicht allzu sehr tobt, aber der spanische Fußball-Profi Josep Guardiola ist 2005 als erster Spieler in Italien wegen Dopings zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Gegen Juventus Turins Manager Antonio Giraudo, den Klubarzt Ricardo Agricola und den Pharmazeuten Giovanni Rossato lief ein Prozess wegen Dopings in den 1990er-Jahren. In den 1970er-Jahren soll es wegen Dopings bei Juventus zu massiven Gesundheitsschäden bei den Spielern gekommen sein (ZDF-Doku).

    Es gibt weitere bedenkliche Indizien. Siehe dazu einen Bericht aus der SZ von 2006 (http://www.sueddeutsche.de/sport/weltfussball/artikel/50/93956/). Hierbei geht es um Hinweise zu Verbindungen zwischen dem berühmt-berüchtigten Dopingarzt Eufemio Fuentes und den spanischen Spitzenvereinen Real und Barca (die liebsten Kinder der Spanier). Sollte Fuentes bei der Aufklärung kooperieren, wäre ihm bzw. seiner Familie lt. eigener Aussage mit Mord gedroht worden. Ganz nebenbei bemerkt hat Fuentes (lt. Stern) angeblich gute Verbindungen nach Deutschland und zwar zu „Blutsbruder“ (O-Zitat Stern) Markus Choina aus Bad Sachsa im Harz.

    Am Fall Jan Ullrich konnte man ebenso erkennen, dass z. B. der Tour-de-France-Manager und Presse weniger erfreut über die „neue Aufklärungsmentalität“ in Deutschland gewesen sind. Man möchte sich eben nicht eine seiner „größte Lieben“ zerstören lassen. Hauptsächlich aus Spanien, Frankreich und Italien kamen z. T. wenig erfreuliche Kommentare und immer wieder Hinweise, die Dopingsünder wären unrühmliche Einzelfälle.

    Die Frage ist für mich: Wer möchte denn wirklich über Doping im Fußball aufklären? Großteile der ausländischen Presse (wie z. B. Marca oder die Gazetta dello Sport berichten täglich seitenweise über Fußball) sicher noch weniger wie die einheimischen, wo doch ein Teil der Existenzgrundlage gefährdet wäre.
    Die Fußballer selbst, die Vereine, die Funktionäre?

    Ich wäre nicht überrascht, wenn im Fußball gedopt würde, ich wäre allerdings überrascht, wenn Fußball die vielleicht einzige „saubere“ Spitzensportart wäre!

  4. Oliver Fritsch schrieb am 5. Februar 2008:

    Ãœberrascht wäre ich natürlich auch nicht, aber es bleibt eine Hoffnung: dass im deutschen Fußball das medizinische Know-how fehlt und die Erkenntnis, dass Fitness ein wichtiger und immer wichtiger werdender Faktor ist, den es mit allen Mitteln zu steigern gilt. Doping würde also mit den gleichen traditionellen Argumenten und im gleichen Stil abgelehnt wie (sagen wir) neue Trainingsmethoden und wissenschaftliche Instrumente zur Leistungsdiagnostik. Also etwa so: Doping – das hats früher nicht gegeben, und so nen neumodischen Schnickschnack brauchen wir auch heute nicht.

    Diese Pointe wäre zu schön, um wahr sein: Deutsche Fußballer dopen nicht, nicht weil sie es moralisch ablehnen, sondern weil sie zu rückständig sind.

  5. petertrompeter schrieb am 5. Februar 2008:

    Auch die These, die dt. Fußballer seien zu rückständig, kann ich kaum glauben.

    Jan Ullrich wählte seinerzeit Peter-Michael Diestel (ehem. Hansa-Präsident) als Anwalt aus, als er des Dopings bezichtigt wurde. Ein Schelm, der böses dabei denkt.

    Erinnern wir uns an Herrn Neururer im letzten Sommer, als er ein wenig aus dem Nähkästchen (Spiegel, 13.07.2007) plauderte:

    Es ist mir bekannt, dass früher Captagon genommen worden ist. Viele Spieler waren verrückt danach, das war überall bekannt und wurde praktiziert. Bis zu 50 Prozent haben das konsumiert.

    Oder auch: „Es gab auch andere Mittel: alle Ephedrine, die auch von den Radfahrern geschluckt werden. Das sind die Asthmamittel. Plötzlich hatte jeder Asthma, um das nehmen zu dürfen. Auch im Nasenspray sind zu 90 Prozent Ephedrine.“

    Dazu gefragt äußerte sich Jens Lehmann: Als ich angefangen habe, mit 17 oder 18 Jahren, da habe ich so etwas gehört. Einige haben wohl, um spielen zu können, Captagon geschluckt.

    Kurz darauf intervenierte Hr. Stenger, seines Zeichens Pressesprecher des DFB, klopfte mal auf den Tisch, worauf Neururer überaschenderweise falsch verstanden/zitiert worden wäre.

    Wenn im Ausland niemand wirklich etwas gegen Doping unternehmen will, weshalb sollte sich die im internationalen Vergleich ohnehin hinterherhinkende (Lizenzierungsunterschiede, TV-Gelder, Talentförderung, taktische Ausbildung usw.) Bundesliga zusätzlich selbst malträtieren? Wo kein Kläger, da kein Richter. Es ist einfach niemand ernsthaft am „sauberen“ Sport interessiert (ausser vielleicht die Romantiker alias Fans). Weder im dt. noch im internationalen Fußball. Weder im Fußball noch im sonstigen Sport.

  6. Oliver Fritsch schrieb am 5. Februar 2008:

    Also ein Fall für Rechercheure. Was ist denn mit dem „Spiegel“? Oder der „SZ“ und der „Berliner Zeitung“? Das sind wohl unsere letzten Hoffnungen.

  7. keinehalbensachen schrieb am 5. Februar 2008:

    Heute gilt nicht mehr das Sprichwort: Der dümmste Bauer erntet die größten Kartoffeln. Seit Leistung ein Wert an sich ist, gilt dieses Sprichwort nicht mehr. Wird eine Stelle frei wird nicht der Bewerber ausgewählt, der einen netten Eindruck macht, sondern derjenige, der im Vergleich zu seinen Mitbewerbern die dem Job angemessensten Fähigkeiten aufweisen kann. Also eher der mit Abschlussnote 1,1 als der mit 3,5. Manche Studenten nehmen Kokain, Amphetamin… während und vor einer Prüfungum um sich wach zu halten, um eine bessere Note zu bekommen als andere, um nicht abgehängt zu werden im „rat race“… Doping ist ein Massenphänomen heutzutage aber schon/erst wieder seit 100 Jahren. (Hier ist ein guter Link: http://www.stern.de/wissenschaft/medizin/567341.html)

    Warum sollte das im Fußball anders sein?

  8. Der “Fall Klasnic” - Dammbruch in Sachen “Doping im Fußball?” « Radio Hexenkessel online schrieb am 29. April 2008:

    […] der aktivsten deutschen Fußball-Blogger, Oliver Fritsch, zuzustimmen. Er wünschte sich im Februar Recherche, Ergebnisse, Aufklärung von den deutschen Medien. Dem kann man sich nun umso mehr anschließen. Die Causa des Ivan Klasnic […]

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