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Oliver Fritsch Kroatien-Türkei 2:4 n.E.

von Oliver Fritsch

Vielleicht hätten die Kroaten mit ihrem Führungstreffer noch warten sollen, vielleicht fiel er zu früh, nämlich in der 119. Minute. Da blieb den Türken noch Zeit genug, sich wie gehabt von einem Rückstand anstacheln zu lassen. Es sind die Stehaufmännchen des Turniers, zum dritten Mal hintereinander lagen sie zurück, zum zweiten Mal hintereinander eigentlich aussichtslos. Das ist kein Zufall mehr. Man muss sie für ihre Nehmerqualitäten ins Herz schließen.

Die Türken scheinen Löwenherzen zu haben – oder einfach eine gute Kondition. In der zweiten Halbzeit ist ihnen zwar kein nennenswerter Angriff gelungen, doch in der Verlängerung konnten sich die gebeutelten Türken schon überraschenderweise mehr Anteile erspielen und waren wie in der ersten Halbzeit durch Schüsse gefährlich. Gute Schützen haben sie in ihren Reihen, allen voran Altintop, der mir gut gefällt, auch am Mikrofon.

Die Kroaten waren eine Mannschaft mit Format, die gute Karten gehabt hätten, dieses Turnier zu gewinnen. Ich weiß ja nicht, warum nach dieser Vorrunde mit 9 Punkten sie niemand als Favorit genannt hatte. Ihnen fehlt in der Stammelf halt ein Torjäger, kein Zufall, dass der eingewechselte Klasnic getroffen hat. Die Türken hatten doch einige Nachlässigkeiten in der Abwehr, doch die Kroaten konnten sie nur ein Mal nutzen. Im Sturm und im Mittelfeld sind sie sehr variabel und sehr ballsicher. Modric, Rakitic und Kranjcar sind zudem in der Lage, einen Pass exakt um denjenigen Sekundenteil zu verzögern, der den gegnerischen Abwehrspieler ins Leere laufen lässt, ohne dass die Zeit lange genug wäre, dass er an den Ball kommen kann. Wie ein guter Schlagzeuger mit einem Trommelschlag, der einen Vierundsechzigstelschlag später kommt, als das Ohr erwartet. Die Pausen machen die Musik.

Zwei Trainer mit Charisma. Bilic litt schon während des Spiels, als wäre er Stromstößen ausgesetzt. Nach der Niederlage gratulierte er fair und in Deutsch. Ein neuer Terim: „Wenn unser Volk auf uns stolz ist, dann sind wir auch auf unser Volk stolz!“

Da spreche ich aus mehrerer Hinsicht als Experte, ein wenig Regelkunde, Herr Bartels: Einen indirekten Freistoß gibt es bei gefährlichem Spiel, also bei einem „Vergehen“ gegen den Gegenspieler ohne Körperkontakt (N. Kovac in der ersten Halbzeit). Direkten Freistoß bei Foul, also mit Körperkontakt. Warum wurde das Spiel in der ARD überhaupt so schlecht geredet? Es gab weit mehr Torraumszenen, Kombinationen und Tempofußball als in einem guten Bundesligaspiel, Herr Netzer. Bloß die Tore fielen halt erst gar nicht, dann spät.

Es stimmt natürlich, in wichtigen Momenten schienen beide Seiten zwar interessiert, aber es fehlte die letzte Entschlossenheit, den entscheidenden Schritt zu gehen. Doch sendeten sie deutliche Hoffnungssignale auf die Zukunft. Auf kroatischer Seite wird in den nächsten Jahren (nicht nur) von Modric noch zu hören sein. Und den Türken steht in fünf Tagen ein EM-Halbfinale ins Haus, in dem sie als Außenseiter antreten dürfen. Und wenn’s gut für sie läuft, gehen sie mit einem 0:2 in die Halbzeit – um dann ihre Story fortzuschreiben. 2002 war es knapp davor, 2008 kommt es also zum Duell, das einige Brisanz hierzulande verspricht.

18 Kommentare

  1. 12. Mann schrieb am 21. Juni 2008:

    Also beim Ãœbersetzen von Sepp Herbergers Weisheit „Ein Spiel dauert 90 Minuten“ ins Türkische muss ein Fehler aufgetreten sein. Jedenfalls fangen die Türken immer erst nach der 90. Minute (und Rückstand) an Fußball zu spielen.

    Und kann es sein, dass die Engländer als Rache für ihre 2:3 Wembley-Niederlage gegen Kroatien ihre Elfmeter-Seuche auf die Kroaten übertragen haben?

  2. Manfred schrieb am 21. Juni 2008:

    Sollte es regnen, kann das ein Spiel der Extraklasse geben. Vielleicht mit dem Clemens Fritz sein Wetter;-)?

  3. nedfuller schrieb am 21. Juni 2008:

    Wahnsinn. Gegen Kroatien hätten wir deutlich gewonnen. Aber man muss gegen die Türken in der 92 Min. mit 2 Toren führen, sonst wird das nichts.

    Mir wird Angst und Bange, zumal Sie trotz aller Unkenrufe Fussball spielen können.

    Tolles Halbfinale. Das wird klasse, lässt die Deutsch-Türkische Freundschaft erbeben (positiv gemeint).

    Ich wundere mich, dass bisher keiner ein Mittel gegen die überaltete Innenverteidigung der Kroaten gefunden hat. Das hätte man denen sonicht zugetraut.

  4. Max Diderot schrieb am 21. Juni 2008:

    Als ehrlich, wer ist nicht mit dem Gefühl zu Bett gegangen, und ob diesem ebenso erwacht, dass die Türkei nur ein Sparringspartner im kommenden Semifinale sei und die wahre Auseinandersetzung der deutschen Mannschaft erst im Finale gegen einen der Titanen des anderen Tableaus droht. Selbst standhafteste Zeitgenossen, werden spätestens seit gestern Abend von diesem süßen Duft umschwebt.

    Zeichen dieses Hochmutes deuteten sich schon gestern in der Kommentation des Spiels zwischen Kroatien und der Türkei an, und sie setzten sich in der Analyse und der anschließenden Monika-Lierhaus-Trivia fort. Hinzu gesellt sich das Phänomen Joachim Löw – er verspricht! Andächtig hängt die versammelte Journaille an seinen Lippen und erwartet das V-Wort. Glaubwürdigkeit verleiht dem Löwschen Duktus auch der Hinweis, dass er dort wohnt, nämlich in Freiburg, wo Deutschlands einziges Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene residiert.

    Die Türkei hat ungemein gute Fußballspieler. Einer der ihren war übrigens der aktuelle Ministerpräsident Recep Tayyip ErdoÄŸan. Als Mannschaft vermagten sie nicht immer zu überzeugen. Jetzt den Tort zu begehen, und sie für die kommende Partie als das „kleinere Ãœbel“, als es die Kroaten gewesen wären, anzusehen, ist die erste der sieben schlechten Charaktereigenschaften: die Superbia, der Hoch- oder Ãœbermut.

  5. Max schrieb am 21. Juni 2008:

    Seh ich auch so, die Türken sind zwar fußballerisch schlechter als die deutsche Mannschaft, aber das heißt nicht, dass dass sie keine Chance haben oder nur als Sparringspartner herhalten werden.

    Übrigens teile ich die Meinung von Netzer, dass das ein ganz schwaches Spiel war. Mehr Torraumszenen und Tempofußball als in einem guten Bundesligaspiel? Vielleicht in der 3. Bundesliga, aber doch nicht in der 1. Liga.
    Ich bin weiß Gott niemand, der 5 Tore und 20 Torschüsse braucht, um ein Spiel als gut zu bezeichnen, aber das war doch gestern über weite Strecken echter Angshasenfußball. Die Türken, ersatz- und sperrengeschwächt, konnten nicht und die Kroaten, ja was war eigentlich mit den Kroaten los? Haben sie soviel Angst vor der Sprintschwäche ihrer Innnenverteidiger, dass sie sich nicht trauen, mal aufzurücken und konsequent nach vorne zu spielen? Sicher, einige gefällige Angriffe waren dabei, aber letzten Endes haben die Kroaten sich die Niederlage selbst zuzuschreiben, weil sie aus ihren überlegenen Möglichkeiten überhaupt nichts gemacht haben und sich nicht getraut haben, konsequent auf Sieg zu spielen.

    Sie waren mein Geheimfavorit, aber bis auf ein starkes Spiel gegen Deutschland ist letztlich nicht viel herumgekommen. Ein müdes, erkämpftes 1:0 gegen Österreich, dann ein unwichtiges 1:0 gegen Polen und gestern diese ängstliche Vorstellung, an deren Ende sie noch nichtmal in der Lage waren, ihr 1:0 2 Minuten lang über die Zeit zu retten.

  6. Doerk schrieb am 21. Juni 2008:

    Ein schlechtes, einschläferndes Spiel, das die Kroaten hätten gewinnen müssen aufgrund ihrer spielerischen Überlegenheit und der Chancenfülle.

    Ich gönne es ihnen, aber dass sie verloren haben: Die Mannschaft hat zwar einige wirkliche Könner vor allem Modric, aber auch Rakitic, Olic, Srna oder den linken Aussenverteidiger; diese Klopper wie Simunic, R. Kovac oder N. Kovac sowie das tiefe Verteidigen der Mannschaft aufgrund der alterslahmen Spieler verleiden mir ihr Spiel allerdings ziemlich. Sie haben zurecht aufgrund ihrer mangelnden Risikobereitschaft verloren.

    Die Türken sind wirklich die Comeback-Kids. Unglaublich, das dritte Spiel in Folge in der Schlussminute zu drehen, noch dazu mit einer durch Verletzungen dezimierten Mannschaft!

    Die deutsche Mannschaft sehe ich als eindeutigen Favoriten, sollte die Mannschaft mit der entsprechenden Dynamik und Leidenschaft zu Werke gehen:
    1.) Den Türken fehlen wichtige Stammspieler
    2.) Ihr Spiel ist relativ langsam, mit einem trägen Spielaufbau und Problemen mit dem Spiel in die Spitze
    3.) Der Torhüter Rüstü ist ein eindeutiger Schwachpunkt, auf den sich die deutsche Mannschaft in Hinsicht von Standardsituationen einstellen sollte.

  7. 12. Mann schrieb am 21. Juni 2008:

    Ich glaube nach diesem EM-Verlauf wird man in Zukunft nicht mehr von deutschen Tugenden sprechen, sondern von türkischen. Echt Wahnsinn, wie die es schaffen immer wieder zurückzukommen.

    Beeindruckend fand ich gestern auch den Sportsgeist der beiden Trainer. Terim wie er nach dem Elfmeterschießen erstmal zu den Kroaten gegangen ist. Und Bilic, der in diesem Moment der bitteren Niederlage, noch sagen kann, dass Fußball der beste Sport der Welt ist. Der durchschnittliche Trainer hätte sich nach diesem Last-Minute-Tor wahrscheinlich bitter beklagt, wie ungerecht doch Fußball ist und über den fehlenden Fußballgott gejammert, doch Bilic sieht das als Beweis, dass Fußball der beste Sport ist. Ein wirklich beeindruckender Trainer mit einer erfolgsversprechenden Zukunft.

  8. Return! - Wer gegen Türken führt, der stets verliert « Radio Hexenkessel online schrieb am 21. Juni 2008:

    […] Mannschaft war taktisch und technisch auf einer Höhe mit den Besten des Turniers. Zu Unrecht sahen nur wenige die Kicker vom Balkan als veritablen Turnierfavoriten. Doch mit einem hatte der so umsichtige […]

  9. Philipp Angermeyer schrieb am 21. Juni 2008:

    Jetzt ist doch wohl klar, wie diese türkische Mannschaft zu schlagen ist: man lässt sie frühzeitig in Führung gehen und dreht dann selbst das Spiel. Also, nach zehn Minuten ein Eigentor von Metzelder, oder, falls fit, auch von Frings. Davon werden sie sich dann in der zweiten Halbzeit nicht mehr erholen.

  10. doctor no schrieb am 21. Juni 2008:

    gestern abend habe ich mich erst gewundert, warum der typ, der in unserem viertel früher immer das gras vercheckt hat, plötzlich im tor der türken steht. irgendwann habe ich dann aber dem kommentator geglaubt, dass das so eine torhüterlegende sein soll. bis zur 119 min. da sah ich, dass er immer noch dieses verfluchte nordafrikanische kraut raucht, so wie er durch den strafraum geirrt ist, ein klarer fall. was ich noch nicht wusste: dass er mittlerweile so großherzig ist und den kroaten ein paar tüten gerollt hat, ehe es zum elfmeterschießen ging. zwanglos entspannt ließ sich da das tor verfehlen…

  11. Widi schrieb am 21. Juni 2008:

    @12. Mann: Die Engländer haben hiermit gar nichts zu tun. Petric und Rakitic wollten einfach deutlich machen, dass sie eben doch Schweizer sind. In strellerscher Manier ist ihnen das ziemlich gut gelungen, wie ich fand.

    Zum Spiel nur so viel: Wenigstens war die Stimmung auf den Rängen grandios. Vor allem in der Verlängerung. Lauter als die Kroaten hat sich (wenigstens nach meiner Wahrnehmung aus Wien) keine Fangruppe präsentiert.

  12. Oliver Fritsch schrieb am 21. Juni 2008:

    Meine Herren, ich habe den Eindruck, Sie haben sich von der EM verwöhnen lassen. Vergleichen Sie mal das Spiel mit einem WM-Viertelfinale (2006) Ihrer Wahl. Und Sie werden sehen, es war weit unterhaltsamer und offener.

  13. Max schrieb am 21. Juni 2008:

    Ja mag sein, dass der Anspruch durch die generell sehr attraktive EM gestiegen ist, aber ich fand rein aus der Erinnerung Deutschland-Argentinien wesentlich besser.
    Okay, da gab es auch nicht viele Torchancen und Hallodri-Fußball, aber rein taktisch und von der Intensität war das sicher zwei Klassen besser als das müde Gekicke gestern. Hab selten solch eine instensive Anfangsphase wie gegen Argentinien gesehen.
    Was war bei den anderen Viertelfinals? Italien 3:0 gegen harmlose Ukrainer, Frankreich 1:0 gegen Brasilien und England traditionell im Elferschießen raus. Naja, attraktive Spiele warens sicher nicht, aber wie gesagt: Ich brauch keine 20 Torchancen in einem Spiel, aber auch taktisch war das gestern kein Augenschmaus, denn dafür haben die beiden Angriffsreihen die Defensiven viel zu wenig herausgefordert.

  14. Max Diderot schrieb am 21. Juni 2008:

    Meinem virtuellen Namensvetter Max möchte ich sagen, dass ich nicht davon sprach, dass die türkische Mannschaft im Vergleich zur DFB-Elf von mir als fußballerisch schlechter erachtet wird. Sie besitzt großartige, feinmotorische Spieler. Und dem hiesigen Fußballbund darf zum Vorwurf gemacht werden, das Talent eines Spielers wie Hakan Kadir Balta, in Berlin geboren und aufgewachsen, nicht erkannt zu haben.

    Die türkische Mannschaft schwimmt augenblicklich auf einer Euphorie-Welle. Auch wenn zahlreiche Akteure nicht gegen Deutschland antreten können, ob verletzt oder gesperrt, wird es ungemein schwierig, und motivatorisch-mental wesentlich diffiziler als gegen Portugal, gegen diesen Konkurrenten zu gewinnen. Ich denke auch, dass sich der Trainerstab taktische Finten überlegen muss.

  15. Cornelius Hapunkt schrieb am 21. Juni 2008:

    Deutschland ist nun in der vertrackten Situation eine extrem geschwächte Truppe als Gegner zu haben. Verlängerung, einen Tag weniger zum Regenerieren, Verletzungspech und Sperren, dazu ein derangierter Torhüter. An sich kann Deutschland gar nicht verlieren, wenn sich Jogis Jungs nicht immer gegen vermeintlich schwächere Gegner, wie verdammte Rumpelfussballer aufführen würden. Und bitte diesmal keine unangebrachte Arroganz, wie vor dem Kroatienspiel und Hartgas bis zur allerletzten Sekunde…sonst wird das nichts.
    Dennoch die türkische Mannschaft hat mir wirklich imponiert!

  16. Max schrieb am 21. Juni 2008:

    @Max Diderot: Wenn ich „fußballerisch schlechter“ sagen, dann meine ich sowohl in taktischer als auch technischer Hinsicht unterlegen. Und das seh ich auch wirklich so. Damit will ich nicht sagen, dass die Türken nicht großartige Spieler wie Nihat, Altintop oder auch Emre Belözoglu hat.
    Aber wenn man die ganze Mannschaft nimmt und sich die bisherigen Spiele (und vor allem das gestrige) anschaut, dann finde ich, dass die deutsche Mannschaft taktisch und technisch besseren Fußball spielt und deshalb überlegen ist.
    Nur zur Erklärung, vielleicht hatten Sie mich falsch verstanden, wenn nicht, dann haben Sie eine andere Meinung. Auch gut 😉

  17. rasselkette schrieb am 22. Juni 2008:

    hey, jogi! 4-4-2 ! diesmal als raute, balle vorne rein, und dann feuer aus allen rohren! mal sehen, ob die das aufholen…

  18. julia schrieb am 23. Juni 2008:

    Wenn Türkei schwach wäre, wären sie doch gar nicht im Halbfinale. Ich weiß gar nicht welches Problem die meisten haben, gönnt es denen doch einfach die gewinnen. Ich bin deutsche, hoffe aber das die türkische Mannschaft gewinnt, weil sie einiges auf Lager haben. Mag sein das sie gegen die Kroaten auch Glück hatten, etwas Glück gehört immer dazu. Auch wenn sie nicht gewinnen sollten meine Favoriten sind die Türken. Ausserdem hoffe ich das es nach dem Spiel am Mittwoch keine Auseinandersetzung zwischen den Fans gibt..hey leute ist alles nur Spiel, hauptsache man war dabei und konnte zeigen was man drauf hat.

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